Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
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Bier in Plastiktüten

Öffentlicher Alkoholkonsum wird im Wedding bestraft

Die Behörden im Wedding gehen mit Bußgeldbescheiden gegen den Alkoholkonsum im öffentlichen Raum vor. Die Polizei stellt die Personalien von Trinkern fest und erteilt Platzverweise. Die Bürger wehren sich gegen die Alkis. Nein, der Wedding soll nicht herausgeputzt werden, weil Berlin jetzt Hauptstadt ist, und es herrschen auch keine amerikanischen Verhältnisse. Aber ein Kampf um die Nutzung des öffentlichen Raums ist in der Malplaquetstraße allemal ausgebrochen.

Als es im letzten Jahr wieder warm wurde, kamen etwa 30 Anwohner auf dem kleinen Platz in der Malplaquet-/ Ecke Utrechter Straße regelmäßig zusammen, um sich dort dem Alkohol hinzugeben. Es wird von Lärm bis spät in die Nacht berichtet, von Pöbeleien und einer aggressiven Atmosphäre. Die Trinker hätten ihre Notdurft auch auf dem nahen Spielplatz verrichtet, hätten Hauseingänge und Treppen verdreckt, in den Büschen ihren Rausch ausgeschlafen und dergleichen mehr.

Genervt von dem Gestank der Exkremente, den Verunreinigungen, dem Lärm und den Pöbeleien gründeten die anständigen Nachbarn eine Bürgerinitiative und wandten sich an das Bezirksamt. "Es brodelte", beschreibt Mike Menke von der Initiative die Stimmung. Informelle Lösungsversuche seien gescheitert. Wenn man die Zecher angesprochen habe, sei man lediglich angepöbelt worden.

Im Bezirksamt hatte man Verständnis für das Anliegen. Nicht nur die Trinker hätten das Recht, sich an diesem Platz aufzuhalten, sondern auch die Mehrheit der normalen Wohnbevölkerung, deren Entfaltungsmöglichkeiten zum damaligen Zeitpunkt massiv eingeschränkt gewesen seien. Durch die Vermittlung des Bezirksamtes hätten sich alle Beteiligten zunächst auf einen Kompromiss einigen können. Als aber, erläutert Werner Schiffmann vom Präventionsrat, die Trinker nach kurzer Zeit der Anpassung zu ihren alten Gewohnheiten zurückgekehrt seien, habe man beschlossen, sich an die Polizei zu wenden.

Passende Gesetze sind immer zur Hand

Was dann bundesweit Aufsehen erregt hat, war die konsequente Anwendung des Berliner Straßengesetzes. Der Alkoholkonsum im öffentlichen Straßenland ist laut Gesetz eine "Sondernutzung", die "zu versagen" ist, wenn "städtebauliche oder sonstige öffentliche Belange beeinträchtigt würden; dies ist auch anzunehmen beim Nächtigen, Lagern und beim Niederlassen zum Alkoholverzehr außerhalb zugelassener Schankflächen." (¤11, Abs. 2) Drei Wochen lang schwärmte die Polizei aus, um die Trinker zur Rede zu stellen und zu verwarnen. Wollte sich jemand nicht fügen, wurde Anzeige erstattet.

27 Bußgeldverfahren habe man bislang eingeleitet, sagt Bernd Wickmann vom Tiefbauamt Wedding (jetzt: Mitte), der die Bescheide über 238 Mark verschickte. Von einem generellen Alkoholverbot könne aber nicht die Rede sein.

Bis jetzt waren die Maßnahmen erfolgreich. Die Trinker-Clique ist vorsichtiger geworden: Man verbirgt den Stoff in der Jackentasche oder räumt ganz schnell die Dosen zur Seite, wenn ein Polizeiauto gesehen wird. Aber das Wetter ist zur Zeit ohnehin nicht danach, sich im Freien aufzuhalten. Ansonsten trifft man sich eben am nahegelegenen Leopoldplatz. In den Grünanlagen rund um die Nazarethkirche fühlen sich Anwohner nicht in dem Maße belästigt wie in der engen Malplaquetstraße. Und außerdem gelte hier, erklärt Jörg Wuttig, Leiter des Polizeiabschnitts 15, nicht das Straßengesetz, sondern das Gesetz zum Schutz von Grün- und Erholungsanlagen. Solange der Platz nicht verschmutzt werde, dürfe man auch alkoholische Getränke zu sich nehmen.

Kosmetische Konfliktlösung

Die Alkoholiker, mit denen die Mitglieder der Initiative solche Schwierigkeiten haben, seien nicht das einzige Problem der Malplaquetstraße, sagt Menke. Viele Bewohner hätten Angst vor gewalttätigen Jugendlichen, wagten sich nachts nicht mehr auf die Straße und sorgten sich um die Sicherheit der Kinder, die durch rücksichtslose Autofahrer gefährdet seien. Eine Jugendgang, die vor einem Supermarkt Gleichaltrigen aufgelauert, sie erpresst und beraubt habe, habe die Leute verunsichert. Die Gegend sei arm und die Fluktuation auch für Weddinger Verhältnisse hoch. Der Handel mit illegalen Drogen nehme zu. Der hohe Ausländeranteil bereite Sorgen. Und der Bezirk befürchtet, dass angesichts dieser Lage die sozial Bessergestellten abwandern.

Die Trinker sind sämtlich in der Nachbarschaft gemeldet. Ihre Sucht kann man nicht mit administrativen Maßnahmen bekämpfen. Es gibt keine Kneipen, in die sie sich zurückziehen können, und außerdem ist das Bier aus dem Supermarkt billiger. Wenn das Wetter wieder besser wird, werden sie wieder da sein, das wissen alle. Eine einvernehmliche Lösung ist nicht in Sicht.

Für Menke ist die Umgestaltung des Teutoburger Platzes in Prenzlauer Berg vorbildhaft: Alle Anwohner hätten mitplanen und ihre Interessen einbringen können. So sei jede Gruppe zu ihrem Recht gekommen - die Jugendlichen hätten ihr Spielfeld, die Sonnenhungrigen ihre Liegewiese und die Zecher ihre Ecke, wo sie ungestört zusammensitzen könnten. Etwas Positives müsse auch in der Malplaquetstraße her. Man wolle Patenschaften für Bäume übernehmen und ein Straßenfest veranstalten, um die Gemeinschaft zu stärken. Doch das, so zeigten die Erfahrungen etwa in der Koloniestraße, könne Jahre dauern.

Der Konflikt vom letzten Sommer bleibt bestehen und kann dieses Jahr wieder ausbrechen. Bürgerinitiative, Bezirksamt und die Trinker haben Interessen, die nicht miteinander zu vereinbaren sind. Die erwerbstätige Bevölkerung will Ruhe und Ordnung. Das Bezirksamt will nicht, dass sie aus dem Bezirk wegziehen. Und die Trinker wollen sich billig berauschen. Aller sozialer Orte beraubt, treffen sie sich auf der Straße: Arbeit haben sie nicht, Kneipen gibt es nicht oder sie können sich den Besuch nicht leisten, nach Hause wollen sie nicht. In ihren Entfaltungsmöglichkeiten empfindlich eingeschränkt, steht das Gesetz auch noch auf der Seite ihrer Gegner. Aber wenn man wieder gegen Zecher vorgeht, hat man das eigentliche Problem nicht gelöst. Die Armut bleibt, der Rest ist Kosmetik.

Benno Kirsch

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