Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
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Die Disneyfizierung Berlins

Stadtumbau nach den Wünschen der Entertainmentindustrie

Ob Adlon, Schlossattrappe oder Bauakademie - die Liste der Berliner Bauvorhaben, die nach historischem Vorbild gestaltet werden, ist lang. Schnell sind Kritiker dabei, solche Projekte als Disneyland zu bezeichnen. Da der amerikanische Themenpark ein Synonym für architektonischen Kitsch ist, wird der Hinweis auf Disney von den Autoren als Einwand gegen mangelnde Authentizität verwendet und auch so verstanden. Daraus könnte man schließen, dass es sich um ein gestalterisches Problem handelt, das losgelöst von stadtentwicklungspolitischen Themen zu betrachten ist. Doch ein Blick nach Amerika zeigt, dass der disneylandartige Umbau der Städte nicht nur eine Frage des ästhetischen Empfindens, sondern ein integraler Bestandteil eines sozialen und ökonomischen Wandels der Gesellschaft ist.

Urban Entertainment als Wirtschaftsfaktor

Die wachsenden Gegensätze zwischen Arm und Reich in den USA führen dazu, dass sich die Unterschiede zwischen den verarmten Innenstadtvierteln und den Vororten der Mittel- und Oberschicht weiter verstärken. Der Niedergang der Kernstädte ist soweit fortgeschritten, dass sich die Vorortbewohner kaum noch in den downtowns aufhalten, sondern überwiegend in suburbanen Shoppingcentern und Büroparks. Der dortige Mangel an urbaner Atmosphäre soll nun durch den Bau neotraditioneller Vororte behoben werden. Diese Neubausiedlungen des New Urbanism erinnern gestalterisch an Kleinstädte des 19. Jahrhunderts, weisen aber nicht deren soziale Vielfalt auf. Bekanntestes Beispiel ist die durch die Truman Show berühmt gewordene Gemeinde Seaside in Florida. Die größte Siedlung dieser Art aber, die Kleinstadt Celebration, wird von der Walt Disney Company in der Nähe von Orlando gebaut.

Doch nicht nur in den Vororten, sondern auch in den downtowns ist Disney aktiv geworden. Der einzige Bereich der Innenstädte, von dem noch wirtschaftliche Impulse ausgehen, sind die sogenannten urban entertainment destinations - Stadtviertel, die für die Bedürfnisse der Vorortbewohner und Touristen erneuert werden. Beim bedeutendsten Projekt dieser Art, dem Times Square in New York, war Disney federführend. Mit Hilfe des Konzerns wurde aus dem Rotlichtbezirk ein familiengerechtes Unterhaltungsviertel. Dafür wurden hunderte kleiner Läden und Sexshops vertrieben sowie Obdachlose und Prostituierte mit einem beispiellosen Aufwand aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Der so erneuerte Times Square dient nun den hardlinern der New Yorker Lokalpolitik als Symbol für angebliche Erfolge ihrer Null-Toleranz-Politik, mit der seit Jahren versucht wird, die Probleme der Stadt zu lösen, indem gegenüber Straftätern auch bei kleinsten Delikten hart durchgegriffen wird.

Der Gestaltung der Bauten kommt bei der Durchführung solcher Projekte eine zentrale Rolle zu. Denn obwohl es sich um einen vollständigen Stadtumbau handelt, der die Nutzer verdrängt, werden die Vorhaben als die adäquate Lösung präsentiert, da sie gestalterisch und symbolisch auf die Vergangenheit des Ortes Bezug nehmen. So entwickelte der Disney-Hausarchitekt Robert A.M. Stern für den Times Square ein Design, das explizit einen Ausschnitt aus der Vergangenheit des Ortes repräsentierte, nämlich die zwanziger Jahre, in denen der Times Square das kommerziell erfolgreiche Vergnügungsviertel der weißen Mittelschicht war. Das von Stern vorgeschlagene Konzept - mit angeblich Times-Square-typischer Neonwerbung und unterschiedlich hohen Gebäuden im Stil der zwanziger Jahre - legitimiert so die derzeitige Neueinnahme durch Unterhaltungskonzerne und weiße Mittelschicht als eine angeblich aus der Historie des Ortes abzuleitende Konsequenz.

Schnell konsumierbare Architektur

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Disney solche Gestaltungsmethoden liefert, denn der Erfolg des Themenparks basiert auf diesem Konzept. Disneyland ist nicht nur einfach bunt und kitschig, sondern eine dreidimensionale Collage der Motive, die für das kollektive Gedächtnis der weißen Mittelschicht konstituierend sind: Die Wildnis und ihre "Entdeckung", der Wilde Westen, der europäische kulturelle Hintergrund, die Kleinstadt des mittleren Westens und Amerikas führende Rolle in der Raumfahrt. Die Fähigkeit, diese Elemente in eine vereinfachte, idealisierte, wiedererkennbare und schnell konsumierbare Form zu bringen ist die Grundlage für Disneys Erfolg - und eben diese Technik wird nun auch im Stadtplanungsbereich angewendet. Dabei wird die Geschichte eines Ortes im Sinne des mainstreams vereinfacht, auf einen Mythos reduziert und dann reproduziert, um ein neues Projekt zu legitimieren, das vor allem den Konzernen und den Angehörigen der Mittelschicht dient.

Zwanziger-Jahre-Mythos bis in alle Ewigkeit

Derselbe Prozess liegt im Prinzip auch der gegenwärtigen Umgestaltung des Berliner Zentrums zugrunde. Dies wird vor allem am Potsdamer Platz deutlich. Der planerische Ansatz, ein Stück europäischer Stadt zu schaffen wurde auf ein Bild reduziert, das an den Mythos der zwanziger Jahre anknüpft. Renzo Pianos oberflächliche Collage von Elementen europäischer Altstadtquartiere (Allee, Platz, Seitenstraßen, Treppenaufgänge) bedient dieses Klischee, schafft aber keine wirkliche urbane Vielfalt, sondern dient nur als dekorative Umrahmung von Shoppingmall und Bürocenter. Gleichzeitig wird - um das von den Nutzungen her belanglos kommerzielle Viertel als "Metropole" zu vermarkten - die Legende vom Potsdamer Platz als angeblichem Herz der Stadt und einst verkehrsreichsten Platz Europas ständig wiederholt. Diese Darstellung reduziert sich bei genauerer stadthistorischer Betrachtung zwar auf die geographische Lage des Ortes und sagt nichts über seine damalige Anziehungskraft oder die einstigen Nutzungen aus (tatsächlich waren die zentralsten Lagen der alten Berliner City viel weiter östlich), doch umso vehementer wird die Legende wiederholt. So wurde immer wieder dasselbe Bild des Platzes aus den zwanziger Jahren gezeigt, die historische Verkehrsampel rekonstruiert und der Mythos über Jahre hinweg in der Infobox multimedial einem Massenpublikum vermittelt. Angesichts dieser themenparkartigen Inszenierung von Urbanität verwundert es nicht, dass Disney gerade hier sein Musical "Der Glöckner von Notre Dame" präsentiert.

Schonungsloser Handlungsbedarf

Doch auch andere große Berliner Bauvorhaben weisen eine nahe Verwandtschaft zu Disney auf. So wird die geplante Neubebauung des Tachelesgeländes ein Scheunenviertel-Surrogat werden, das zwar symbolisch auf die Umgebung Bezug nimmt, mit deren Bewohnern, Nutzern und der einstigen sozialen Vielfalt aber kaum etwas zu tun hat. Zu diesem Zweck wird das Viertel, von dem eine kommerziell-touristische Nutzung wie in den Hackeschen Höfen zu erwarten ist, aus einer Vielzahl meist gleich hoher Blöcke bestehen, die jeweils von unterschiedlichen Architekten gebaut werden - wobei die Stimmannsche "steinerne Architektur" als angeblich Berlin-typische Gestaltung dominieren wird. Für die notwendigen pseudo-historischen Fassaden sorgen als federführende Architekten das amerikanische Büro Duany Plater-Zyberk, die bereits mehrere neotraditionelle Siedlungen, darunter Seaside, gebaut haben - und auch Robert Stern, Mitglied im Disney-Aufsichtsrat und Celebration- bzw. Times Square-Masterplaner, hat in der ersten, weitgehend geheimgehaltenen Planungsphase mitgewirkt und wird wohl an dem Projekt beteiligt werden.
Gemeinsam ist solchen durch historische Symbole nur oberflächlich der Stadtstruktur angepaßten Projekten die privatwirtschaftliche Organisation des pseudo-öffentlichen Raumes nach amerikanischem Muster. Die privaten Sicherheitsdienste sind dementsprechend auch im Auftreten an Vorbilder aus den USA angelehnt. So tragen die Wachleute am Potsdamer Platz die Uniformen der New Yorker Polizei als Dienstkleidung, die nach Angaben der Sicherheitsfirma den Gedanken der "Wachsamkeit rund um die Uhr" demonstrieren sollen. So werden nicht nur amerikanische Sicherheitskonzepte verwendet, sondern dabei auch ganz bewusst Symbole der New Yorker Null-Toleranz-Politik eingesetzt, um schonungslose Handlungsbereitschaft zu zeigen, mit der bei sicherheitsversessenen Kunden Vertrauen und bei unerwünschten Personengruppen Respekt geschaffen werden kann.

Aufwertung und Abwertung im Widerstreit

Doch während inszenierte Teilräume für kaufkräftige Schichten abgesichert werden, erfahren andere Orte eine Abwertung, indem sie mit dem Label "gefährliche Orte" versehen werden. So verändert sich die Wahrnehmung bestehender Bereiche wie der City West, deren Gewerbetreibende dann aus Konkurrenzdruck den Sauberkeits- und Sicherheitswahn wiederum vorantreiben. Mit den Planungen für die flächendeckende Videoüberwachung von Hardenberg- und Breitscheidtplatz sowie deren vorgeschlagener Neugestaltung mit einer in den Boden eingelassenen, überwachungsfreundlichen Beleuchtung dreht sich die Spirale wieder ein bißchen weiter, und die Kriminalitätsdiskussion wird langsam zu einem zentralen Kriterium. Damit droht auch in Berlin eine Entwicklung wie in New York - eine Kombination von Sicherheitswahn, inszenierter Urbanität, multimedialer Vermarktung und disneylandartiger Gestaltung als zueinander gehörende, sich gegenseitig ergänzende und legitimierende Elemente.

Frank Roost

Von Frank Roost ist soeben erschienen: Die Disneyfizierung der Städte. Großprojekte der Entertainmentindustrie am Beispiel des New Yorker Times Square und der Siedlung Celebration in Florida, Verlag Leske+Budrich 2000, 161 Seiten, 33 DM

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