Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
scheinschlag

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"Quo vadis, Tacheles?" heißt "Quo vadis, Mitte?"

Gibt es in Mitte bald nur noch Flaniermeilen?

"Blühende Landschaften" steht auf ein Metallschild gepinselt. Das Schild benennt eine Freiluftgalerie im Tachelesgarten. Es liest sich wie eine bittere Ironie auf die Szenerie. Die Schrottskulpturen sind mit Baugittern umzäunt, das Gelände wirkt ausgestorben, nur ein paar behelmte Bauarbeiter sind unterwegs.

Für den Garten hinter dem Kunsthaus scheinen die Tage nun gezählt zu sein. Ein neuer Plan liegt auf dem Tisch, nach dem er fast flächendeckend unter Stein begraben werden soll. Noch im Sommer 1996 wurde er als unverplanter, kreativer Freiraum gegen Toni Sachs Pfeiffers Bauprojekt "Ei am Tacheles" verteidigt. Der "Charme einer Einbauküche" würde die Lebendigkeit des Ortes zerstören. Für den Stadtsoziologen Häußermann galt der Freiraum sogar als symbolischer Ort, an dem der Kampf um den öffentlichen Raum, stellvertretend für Berlin ausgetragen würde. Die heutige Planung versucht nicht mehr wie Toni Sachs Pfeiffer, den Kunstgarten als "Herz" eines "neuen Quartiers" für sich in Anspruch zu nehmen, sondern gibt ihn gänzlich preis. Anstelle des Lippenbekenntnisses, an die Spandauer Vorstadt "mit ihren Gegensätzen und Spannungen" anknüpfen zu wollen, ist die klare Sprache von Herrschaftsarchitektur getreten.

Die Zeichnung des künftigen "Platzes am Tacheles" könnte man gut für den Kupferstich irgendeines historischen Renomierplatzes halten (siehe Abbildung Seite 5). Es handelt sich jedoch um den aktuellen Entwurf des Planungsbüros Duany Plater-Zyberk. Andres Duany und Elisabeth Plater-Zyberk kommen aus Florida und gelten als Prominenz der amerikanischen Strömung des "New Urbanism" - in den USA entdeckt man gerade, als Reaktion auf den die Zersiedlung der Megastädte, die Grundsätze des traditionellen Städtebaus. Am Tacheles wollen die Städtebaupropheten dementsprechend klassisch europäisch bauen, so klassisch, dass selbst Schinkel mit den Ohren schlackern würde: sieben bis achtgeschossige Prachtbauten mit Erkern, Türmen und Gesimsen, mit Innenhöfen und Plätzen, darunter drei Geschosse mit Einkaufszentrum und Tiefgaragen. Als Nutzungen sind hauptsächlich Einzelhandel und Büros geplant.

Verbindlich ist an diesem Entwurf bisher nur der städtebauliche Strukturplan - also Grundrisse, Gebäudehöhen und ein ungefähres Nutzungskonzept - noch nicht aber die letztendliche Architektur. Jedoch macht die Eigentümerin Fundus kein Geheimnis daraus, dass neoklassizistisch gebaut werden soll. Als Architekten favorisiert sie den Klassizismuspapst Robert Stern. Dort wo einmal einmal ein städtischer Raum war, soll nun also ein urbaner Kulissenzauber für Konsumenten entstehen.

Wende nicht nur für das Tacheles

Von der Preisgabe des Tachelesgartens zugunsten einer städtischen Inszenierung sind keineswegs allein die im Tacheles ansässigen Künstler betroffen. Sollte am Tacheles nun eine zweite Adresse wie die Hackeschen Höfe entstehen, könnte dies, so befürchtet der Architektursoziologe Harald Bodenschatz, die gesamte urbane Struktur in Mitte beeinflussen: Die Friedrichstaße wird bislang nur zwischen Bahnhof und Leipziger Straße als Flaniermeile genutzt. Ein neuer Einkaufs- und Entertainmentkomplex am Tacheles könnte wie ein Scharnier die beiden Meilen Friedrichstraße und Oranienburger Straße verbinden. Bodenschatz sieht durch diese sich ausbreitenden Zentren, in denen Kunst und Alternativkultur als Erlebnishype konsumiert werden, die Spandauer Vorstadt als buntes, durchmischtes Stadtviertel bedroht. Schon früher waren das Tacheles, die Hackeschen Höfe und die Volksbühne strategische "Einfallstore" in die Spandauer Vorstadt: In den 20er Jahren galt das Viertel, in dem viele Arme und kulturell Andersartige lebten, als "überkommen". Als zeitgemäß sah man die "neue City" an - die Friedrich- und Dorotheenstadt. Sowohl das Tacheles als auch die Hackeschen Höfe wurden als hochmoderne Einkaufszentren geplant um "die Spandauer Vorstadt städtebaulich in Frage zu stellen", so Bodenschatz.

Heute ist die Spandauer Vorstadt baulich en vogue - an das Flair des Altbauviertels knüpft sich die Sehnsucht nach einem historischen Zentrum - sie steht aber hinsichtlich ihrer sozialen Nutzungen an einem Scheidepunkt. Wird es hier zukünftig nur noch Touristenströme, Galerien, nachempfundene Alternativkultur und Cafˇs geben? Werden die angestammten Bewohner, die sich bislang trotz steigender Mieten noch halten können, weiterhin eine Chance haben, hier zu wohnen? Und werden die vielbesungenen echten Träger der Offkultur noch Räume finden, hier zu überleben?

Manche haben Berlin-Mitte als ein lebenswertes Stadtviertel bereits aufgegeben. Aber sollte man wirklich hinnehmen, dass die Spandauer Vorstadt bald wie die Innenstadt von München aussieht? Quo vadis, Tacheles ist auch die Frage, quo vadis, Mitte.

Tina Veihelmann

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