Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
scheinschlag

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An der Westfront

Die Rache der provencialischen Ökobauern

Als Nachteil an meinem Französischstudium empfand ich immer, dass man dabei kein Französisch lernte. Die Studentinnen beherrschten diese Sprache bereits perfekt, sie hatten die Zeit, die ich bei der Armee verbracht hatte, um sie vor den Mongolen zu beschützen, für Auslandsreisen genutzt. Ich war der Doofie, und das sollte mir bald nicht mehr reichen. Um weiter Französisch studieren zu können, musste ich unbedingt Französisch lernen, und das überlegte ich mir, müsste doch eigentlich am besten in Frankreich gehen. Damit lag ich natürlich völlig falsch. Und das kam so:
Ich rief bei einem Ökobauernhof in der Provence an. Die Ökos müssten genau das Richtige für mich sein, sie arbeiten nicht so verbissen, freuen sich, wenn wer zu Besuch kommt und von der Ferne berichtet und lassen mich in Ruhe meine Bücher lesen. Ich könne sofort kommen, hieß es dann auch. "Und was muss ich machen?" - "On verra", lachte der fröhliche Mann am andern Ende der Leitung. "Wir werden sehen". Aha, ein lebenslustiger Öko, der auch mal fünfe grade sein ließ. "Ich komme nämlich eigentlich, um Französisch zu lernen", sagte ich. "On verra", sagte er und lachte wieder. Was ich mitbringen müsste, fragte ich. "Des bottes." Aha, Botten, so schwer war die Sprache doch gar nicht. Ich hatte mir schon sowas gedacht, schließlich hatten die ganzen Mädchen sie ja auch gelernt.

Die Stadt hieß Troyes und lag 100 Kilometer östlich von Paris. In Frankreich ist es allerdings so, dass man, wenn man von A nach B will, immer auch über Paris muss. Auch ich musste erst nach Paris fahren und dann wieder 100 Kilometer zurück. Ich hatte mich schick angezogen, um einen guten Eindruck zu machen. Diese Leute waren ja sicher sehr kultiviert, spielten abends Schreibspiele und führten um Mitternacht philosophische Reigentänze auf. Ich stellte mir die netten Mädels vor und das ganze friedlich-freundliche Ambiente, in dem man scherzend an Kuheutern zupft und sich gegenseitig beim Geschlechtsverkehr hilft.

Die Frau Öko war aber ziemlich dick, ich möchte fast sagen derb, und absolut ungesprächig. Sie kam in einem verbeulten Wagen angeschossen und sah missmutig drein. Dann schoss sie mit mir wieder zurück, auf der Jagd nach neuen Beulen. Um mich beliebt zu machen, fragte ich sie nach der im Bau befindlichen Autobahn, die hundert Meter vom Hof entlangführen würde. Sie zuckte die Achseln. Ich fragte: "Kann man da nichts machen?" - "Was soll man denn machen können?", sagte sie. Es war wie gesagt eine wortkarge Frau. Sie kümmerte sich um die Blumen, um den Haushalt und um ihre sechs bis acht Kinder. Am ersten Abend durfte ich mit der Familie essen. Sie benutzten keine Teller, sondern machten auf der Wachsdecke eine riesige Schweinerei. Außerdem redeten sie mit vollem Mund. Außerdem verstand ich kein Wort. Doch, ich verstand, dass die Arbeit um halb sieben losgehen würde. Aber da war ich mir nicht sicher, ob ich das wirklich richtig verstanden hatte. "Jeden Tag?" fragte ich. "On verra", lachte der Mann.

Bioessen, krummer Rücken und Sonnenbrand

Morgens stand ich in der Kälte auf und musste Bewässerungsanlagen herumwuchten, große Plasteplanen über die Felder zerren, die Erde nach Kartoffeln absuchen, Tomatenpflanzen festbinden, Unkraut wegeggen, Bohnen pflücken, Porree ziehen, Schweineställe ausmisten. Gegen Mittag war ich damit fertig und bekam eine halbe Stunde Pause, in der ich versuchte, mich wieder aufzurichten, was nötig war, weil ich Essen für die drei anderen Praktikanten kochen sollte. Es kam alles aus biologischem Anbau!

Am Nachmittag war die Hitze kaum mehr zu ertragen, ich wurde immer schöner, aber ich hatte bis jetzt nur "Schubkarre", "Festbinden" und "Geh mal holen" gelernt. Der Chef fuhr den ganzen Tag mit dem Trecker den Horizont auf und ab. Abends um Sieben war Schluss, aber nicht ganz, ich musste noch Luzerne mähen für den dummen Esel, der überhaupt keinen Zweck hatte. Drei Schubkarren voll. Ich habe es diesem Tier nie verzeihen können.

So ging das 4 Wochen. Bioessen, krummer Rücken und Sonnenbrand. Keine Rede von Grammatik. Am schlimmsten war die Zwiebelernte. Es gab mehrere 50 Meter lange Reihen mit herausgezupften Zwiebeln, denen wir auf dem Feld kniend einzeln mit Papierscheren das getrocknete Kraut abschnitten. Zwiebelchen für Zwiebelchen. Danach hatte ich immer noch zehn Finger, aber mein Rücken war jetzt gegen mich. Ich hatte das Gefühl, dieses Volk rächt sich an mir. Dabei war mein Opa SPD-Mitglied und wegen einem steifen Bein nicht im Krieg gewesen.

Verschiedene Dinge musste ich erst lernen: Von den Zucchini sammelt man nicht die riesig großen ein, denn die sollen noch größer werden, um als Tierfutter zu dienen. Das sagte mir der Mann allerdings erst, als ich ihm stolz zehn Kisten voller riesiger Zucchinigurken präsentierte. Jeden Handgriff führte er mir erst vor, dann sah er eine Weile zu, wie ich mich anstellte, schüttelte den Kopf und sagte: Naja, Hauptsache, du machst nicht soviel kaputt.

Jeden Abend musste ich einen Brief an meine Freundin in Berlin schreiben, die mir immer dann unterstellte, dass ich fremdging, wenn sie nicht neben mir stand. Ich musste, während mir die Augen vor Erschöpfung zufielen, Worte finden, die ihr bewiesen, wie gerne ich ihr schrieb und wie sehr sie mir fehlte. Dabei fehlte sie mir nicht. Für sowas war gar keine Zeit.

Eine tote Maus wurde gekocht

Der Ökomann steckte bis zum Hals in Schulden, die Franzosen hatten keine Lust auf gesundes Gemüse, wenn es teurer als das ungesunde war. Um sich zu trösten, las er Rudolf Steiner. Er glaubte auch an höhere Dinge wie Mondkalender. Eine tote Maus wurde gekocht und über den Acker verteilt, das half angeblich gegen lebende Mäuse. Man sollte im Sommer keine Tomaten essen, denn die seien voll Sonne und so entstände ein Ungleichgewicht im Körper. Man müsse auch darauf achten, aufstrebende und nicht aufstrebende Pflanzen zu mischen. Generell sei Essen Krankwerden und Verdauen wieder genesen.

Inzwischen konnte ich schon sagen: "Zucchini", "das tut gut" und "das tut nicht not". Ich fühlte mich aber so unglücklich und geistig unterfordert, dass mein Körper rebellierte und mich mit Visionen traktierte. Die meisten handelten von Frauen. Dabei gab es hier nur die dicke Ökotochter, die mir immer die frischgezapfte Milch brachte. Nur einmal kam ich wirklich in Versuchung, als die reiche Nachbarin herüberkam, um sich ein paar Basilikumblättchen für ihre Gesichtsmaske zu pflücken. Ich kniete gerade auf der knochentrockenen Erde und gab den kleinen Porreepflänzchen ein neues Zuhause, indem ich versuchte, sie in die Ameisenlöcher zu schrauben, da stand plötzlich zehn Meter weiter diese starkblondierte Frau und unterhielt sich mit dem Ökomann. Dann deutete sie auf mich und sagte: "Il est mignon, le petit!" Das heißt auf Deutsch: "Dies ist der schönste Jüngling, den meine alten Augen je erblickt haben." Die französische Sprache ist da sehr ökonomisch.

Ich hatte also plötzlich die Wahl: verlasse ich meinen Bauern für eine Affäre mit einer reichen fünfzigjährigen Französin, die sich in ihrem Landhausschloss nur von sexuellen Phantasien ernährt, und deren Mann seit Jahren in Australien auf Känguruhjagd ist? Ich wäre mit einem Mal ein anderer Mensch geworden. Ich hätte auch meiner Freundin keine Briefe mehr schreiben müssen. Ich hätte die reiche Frau an ihrer Gier ersticken lassen und wäre zurückgekommen nach Deutschland als gemachter Mann. Comte Joachim de Schmidt, der geheimnisvolle Fremde, unsagbar reich aber mit einer umdüsterten Seele und einem Hang zu Trübsinn und Verschwendung. Man erzählt sich, er speise nichts als das jeweils drittletzte Blatt des portugiesischen Sauerkohls. Er soll seine Frau im Keller eingemauert haben und ihr seine erotischen Geschichten vorlesen, um sich an ihren Qualen zu ergötzen. Aber eigentlich liebt er immer noch die Marquise Beatrice, die er damals im Spiel aus Versehen erwürgt hat.

Comte Joachim de Schmidt wäre ich geworden, hätte ich der reichen Nachbarin nur meinen Augenaufschlag gegönnt, sie wäre zwar ohnmächtig geworden, aber ich hätte sie wie ein Held auf meiner Schubkarre in ihr Schloss gebracht und sie mit meiner deutschen Seele hypnotisiert. Vielleicht habe ich es ja auch gemacht und nur keinem davon erzählt. Dann wäre ich natürlich ein ganz schöner Schlawiner.

Jochen Schmidt

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