Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Das ist kein Kindermuseum

Ein Bericht über die 9. lange Nacht der Museen

"Junge Frau, halten Sie mal das Kind fest, wenn der Kopf erst ab is, isses zu spät!" Ich schaue mich verblüfft um. Eine alte, erbost blickende Frau sitzt auf einem Stuhl an der Wand neben den Möwen und Kranichen. Nur eine Glasscheibe trennt sie von den zu beaufsichtigenden Objekten, den ausgestopften Tieren. Den Lieblingen meines knapp zweijährigen Sohnes, der gerade zum fünften Mal von den Eulen auf der gegenüberliegenden Seite zu den Seevögeln rast, dabei begeistert die Arme schlenkert und jauchzt. "Das ist hier kein Kindermuseum!" stellt sie nun fest. Ich erwähne die zahlreichen Schulklassen, die hier täglich über 7600 Exponate bestaunen. Kinder stellen laut Homepage des Naturhistorischen Forschungsinstituts der Humboldt Universität, wie sich das Museum für Naturkunde genauer nennt, mehr als die Hälfte der Besucher. Ab wann ein Kind für den Besuch des Naturkundemuseums geeignet ist, ist nicht vorgegeben. Die Wächterin grummelt "na älter jedenfalls!"

Das Konzept des Hauses ist gezielt auf Kinder ausgerichtet. "Das Begreifen der Evolution der Erde und des Lebens ist das Generalthema der Forschungs- und Ausstellungsarbeit des Museums für Naturkunde Berlin," schreiben die Museumspädagogen in ihren werbenden Erläuterungen. Führer durch das Museum werden speziell für Kinder verfasst, altersgerechte Führungen veranstaltet und Schulklassen gezielt zu Kursen eingeladen. Mein Sohn ist zu klein.

Die langen Nächte im Museum

Schade, dabei hatte ich so wunderbare Erlebnisse im Naturkundemuseum. Kinderlos. Mit viel Zeit und Geduld. Denn bei den langen Nächten der Museen heißt es auch im Naturkundemuseum - Schlange stehen. In kleinen Gruppen wurden und werden zu diesen Anlässen zweimal jährlich Besucher in das Innere des Museums geführt. Es war jedes Mal aufregend. Auch ohne tieferes Verständnis der Biologie gewannen Mann und Frau Einblicke in die unzähligen Schubladen, Reagenzgläser und vollgestapelten Säle des Geheimreiches. Hinter den "Kulissen" des Naturkundemuseums, wie liebevoll betitelt wurde, erzählten eigens die mit den Präparaten betrauten Forscher über ihre Arbeit, von den Objekten ihrer Profession und - von den Expeditionen! Humboldts Kugelfische, die er im Amazonas fing, hab ich gesehen und einen kleinen Katzenhai, der aus der Gruppe um Forster stammen soll. Manche der historischen Präparate sind bereits 250 Jahre alt!

Terror in Dresden

Genug des Naturkundemuseums. Dieses Jahr beschloss ich, einen ganzen Abend auf den diversen Routen der 9. langen Nacht der Museen zu verbringen. Meine erste Anlaufstelle am 27. Januar war die "Brotfabrik" an der ehemaligen "Spitze" (ehemalig, da sich nun alle drei angrenzenden Bezirke vereint Pankow nennen). Dort wurden DDR- Künstlerfilme aus den Jahren 1976 - 1990 des eigenen Experimentalfilmarchivs gezeigt. Das kleine Kino war voll besetzt. Die kostbaren Schmalfilme flimmerten eine fast vergessene oder zu entdeckende Ära herbei; z. B. Sommertage in den Siebzigern, Dresdener Mädchen mit Miniröcken und kessem Lächeln, A.R. Penck beim Eisbecherkauf und beim Herumsitzen in Parkanlagen. Dieser halbstündige Film war von zermürbendem Rauschen, Jaulen und Pfeifen (erzeugt von Pencks seltsamen Musikmaschinen) begleitet und hieß "Terror in Dresden".

Lästern über Lang

Mit Film sollte es weiter gehen, die nächste Station hieß Filmmuseum am Potsdamer Platz. Die Wartezeit betrug bei meiner Ankunft eine gute Stunde, aber die Fritz-Lang-Ausstellung ein gläsernes Stockwerk tiefer lohnte den nächtlichen Besuch. Anziehend hier das spielerische Element der Ausstellung! An "Hörsäulen" kann per Knopfdruck der Kommentar oder ein Zitat einer bekannten Persönlichkeit abgehört werden, die sich auf Fritz Lang bezogen. Schauspieler, Regisseure und Mitmenschen lästern, loben und lieben. So gewinnen die Fotos und Dokumente des schöpferischen Lebens Langs die Frische aktueller Zeugenschaft.

Pfeif auf den Routenbus

In der Gemäldegalerie flanierten Mittelständler durch die Hallen. Schöne junge Menschen zeigten eine Mini-Modenschau, ein Chor sang und eine Kunsthistorikerin erklärte einem Pulk Besucher ein holländisches Sprichwortbild. Die größte Heiterkeit dieser munteren Bildbeschreibung erzeugten die beiden Figuren, die zusammen aus einem Erker schissen - so gut Freund konnte man sich sein! Im Cafˇ des Kulturforums herrschte lange nach Mitternacht noch hektisches Treiben und hinter der Neuen Nationalgalerie standen Dutzende Menschen im Nieselregen, die auf den Routenbus zum Schlossplatz warteten. Doch der fuhr im Kreis, wenn er endlich kam, und brauchte über 40 Minuten für die Luftstrecke von zwei Kilometern. Ich nahm die S- Bahn und war kurz vor zwei am Naturkundemuseum. Ich sah wehmütig hinüber auf die herausströmenden Massen und ging ins Bett, gegenüber des Museums. Hoffentlich ist mein Sohn zur nächsten langen Nacht schon groß genug, um beim Steineklopfen der Geologen mitmachen zu dürfen.

Anne Hahn

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  Ausgabe 02 - 2001