Ausgabe 01 - 2001berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Zitrone aus dem Weltall

Im Pavillion am Weinbergsweg ist eine Reihe szenischer Lesungen mit Texten von Stanislav Lem gestartet

Der Pavillon im Park am Weinbergsweg ist für einen Dienstagabend ungewöhnlich hell erleuchtet. Vornehmlich junge Menschen streben dick eingemummelt in Richtung Eingang. Da scheint es etwas Interessantes zu geben. An der Kasse verlangt ein Milchbart vom Einlasser freien Eintritt für einen Künstler, kann seine Berechtigung jedoch nicht zwingend nachweisen. Was treibt solche Leute in dieses Etablissement? Ganz einfach: die Liebe zu einem Autor, nämlich Stanislaw Lem. Die Aufführung des Abends heißt „Lemon Space", also Lem auf Weltraum, oder so.

Drinnen lümmeln sich viele Menschen verschiedenen Alters und beiderlei Geschlechts in den schwarzen Kunstledersofas. Beschwingte, unaufdringliche Easy-Listening-Musik lullt ein. In der Mitte des Raumes stehen erhöht zwei silbrig glänzende Schalensessel im Sechziger-Look. Man sitzt erwartungsvoll herum und unterhält sich. Die Lem-Fangemeinde ist groß und nicht, wie bei vielen anderen Autoren des Genres auf technikbegeisterte ­ und zumeist männliche ­ Freaks beschränkt. Mittlerweile ist er wahrscheinlich schon so etwas wie Pop, denn selbst die „Futurama"-Köpfe haben einige Anleihen beispielsweise aus den „Sterntagebüchern" genommen. In Lems Werk geht es eher um eine menschliche oder philosophische Dimension als um technische Spielereien. Zudem zeichnen sich die meisten Geschichten durch Witz und subtile Komik aus. Und da ist es eigentlich verwunderlich, dass nicht schon eher jemand auf die Idee einer solchen Lesereihe gekommen ist.

Ein wenig Nebel wallt durch den Raum und verkündet den Beginn der Zeremonie. Zwei Männer (Ulrich Reinhardt, Martin Clausen) betreten in silbrig glänzende Umhänge gehüllt den Raum, werfen diese ab und setzen sich. Sie lesen abwechselnd einen Text aus den „Sterntagebüchern", manchmal mit verteilten Rollen, manchmal einfach so. Der eine trägt eher seriös vor, der andere verhaspelt sich manchmal, wodurch die Sache lockerer wird. Und es macht auch nichts, wenn er seine „Fehler" selbst kommentiert: „Ich sage immer Geschichte statt Kiste." Im Hintergrund puckern Geräusche. An eine Wand werden winzige, spacige Dias geworfen.

Die meisten im Publikum scheinen die Texte zu kennen, was dem Amüsement keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: Beim Vorlesen tritt die groteske Komik viel besser zu Tage als bei stiller Lektüre. Nach der Pause wird noch eine absurde Geschichte aus „Pirx´ Erzählungen" gelesen, und es ist weiterhin sehr lustig. Offensichtlich auch für die Vorlesenden, die sich am Ende gut gelaunt angrinsen.

Gute Laune muss man bei dem Projekt ganz sicher mitbringen und viel Enthusiasmus. Für die eineinhalb Stunden wird fünfmal in der Woche geprobt. Jede Woche andere Texte, die jeweils um ca. ein Drittel gekürzt werden müssen, um sie lesetauglich zu machen. Die Auswahl beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Bestseller „Sterntagebücher" oder die Pirx-Episoden. Vielmehr hat sich Regisseur Alexander May vorgenommen, einen Querschnitt durch das Lemsche Werk und seiner Erzählstile zu zeigen. So soll im Februar die Erzählung „Die Maske" gelesen werden, was mehr Performance-Charakter haben wird ­ eine koreanische Opernsängerin wird dafür sorgen. Geplant sind außerdem Auftritte von „Bühnenstars", etwa vom BE oder der Schaubühne, die zusammen mit dem „harten Kern" lesen werden. Zum Abschluss Ende März ist für zwei Abende die Lesung des Romans „Der Unbesiegbare" geplant, mit einem Stelldichein aller Beteiligten.

Ein riesiges Unterfangen. Doch bis dahin soll sich Lemon Space erstmal herumsprechen, auch unter´m Szenevolk. Hinterher, darauf sei hingewiesen, kann nämlich noch geclubt werden. Ein DJ ist jeden Dienstagabend vorhanden. Ein bisschen Crossover schadet nie, zumal sich das Lemon-Space-Team auch nicht der hohen Kunst verschrieben sehen möchte. Perfektion ist nicht gewollt. Dass die Leute wiederkommen, schon. Tun sie auch. Bestimmt.

Ingrid Beerbaum

„Lemon Space" im Pavillon am Weinbergsweg, Veteranenstraße 9, jeden Dienstag um 21 Uhr bis zum 27.3.

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