Ausgabe 01 - 2001berliner stadtzeitung
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Komik ­ eine gewalttätige Angelegenheit

Takeshi Kitano paart grotesken Humor mit der knallharten Realität der japanischen Yakuza

Regisseur und Hauptdarsteller gleichzeitig zu sein, ist eine Herausforderung, die dauerhaft erfolgreich nur Komiker wie Woody Allen und Charlie Chaplin bewältigt haben. Die Reihe lässt sich mit dem Japaner „Takeshi Kitano" fortsetzen. Das japanische Multitalent, das sich in seinen 23 Filmen als Darsteller Beat Takeshi nennt, hat in neun davon selbst Regie geführt und zumeist auch das Drehbuch geschrieben.

In seinen Filmen mimt Kitano stets den schweigsamen Typen mit sehr harter Schale und einem meist ganz versteckten, weichen Kern. So auch in Brother, seinem neuesten Werk, einem knallharten Film über die Yakuza ­ eine mafiaähnliche Organisation, die in Japan weite Teile der Gesellschaft kontrolliert. Kitanos Gesicht ist seit einem schweren Motorradunfall halbseitig gelähmt, was kaum auffällt, da er fast immer die Rolle des Mr. Pokerface spielt. „Im Grunde genommen ist Komik eine gewalttätige Angelegenheit", sagt Kitano, und nicht selten paaren sich die abrupten, teils grotesken Gewaltausbrüche (schon als Kind hatte er sie so erlebt) in seinen Filmen mit einer gehörigen Portion Humor ­ denn hauptberuflich wirkt der Workoholic Kitano als Komiker für das japanische Fernsehen.

Fürst Takeshi

Kitano, der mit seinen bizarren Auftritten die starren Regeln des japanischen Fernsehens verletzt, brachte er es seit den 80ern zu einer ungeheuren Popularität. Nach Deutschland ist davon nur seine Spielshow Takeshi's Castle herübergeschwappt, sie ist nachmittags auf DSF zu sehen. Die oft künstlich gehandikapten Kandidaten müssen sich hier mit absurden Geräten oder Monstern herumplagen, um die Burg des Fürsten Takeshi erobern. Der prächtig gekleidete Fürst schlägt den „unfähigen Vasallen" zur Strafe mit seinem Fächer auf den Kopf. Leider hindert ein schlechter, wahrscheinlich witzig gemeinter, deutscher Kommentar das Publikum daran, Kitanos Wortwitz auch nur in Ansätzen zu verstehen.

Groteske Elemente spielen auch in Kikujiros Sommer (1999) und in Brother eine Rolle: In Kikujiros Sommer vertreiben sich eine Handvoll Loser mit absurden Spielen die Zeit am Strand, um ein verlassenes Kind zu belustigen. In Brother soll ein gefangen genommener Mafiaboss erraten, an welcher Schnur er ziehen darf, um eine auf ihn gerichtete Pistole nicht auszulösen.

Bewahrer der japanischen Kultur?

Ein immer wiederkehrendes Thema in Kitanos Filmen ist die japanische Yakuza. Grund mag sein, dass die Yakuza mit 100000 Mitgliedern die mächtigste kriminelle Vereinigung der Welt darstellt und auf fast alle Bereiche der japanischen Gesellschaft Einfluss nimmt. Ihr Vorhandensein ist so selbstverständlich, dass sie sogar schon in offiziellen Demonstrationen gegen die Verschärfung der Mafiagesetze protestiert hat. Schließlich sehen sich die Yakuzas als Nachfahren der Samurais und damit als Hüter japanischer Werte und Kultur. Befragt nach dem Unterschied zwischen Samurais und Yakuzas, erklärt Kitano: Die Yakuza sind Spieler. „Ya-ku-za" steht für drei Zahlen, die im japanischen Kartenspiel Null ergeben. Die Null zeigt symbolisch den Rang der Yakuza in der Gesellschaft ­ im Gegensatz zu den Samurais, die der Oberschicht angehören.

Auch in Kitanos Brother geht es um die japanische Mafia: Ein Yakuza emigriert nach Los Angeles um der Hinrichtung eines feindlichen Klans zu entgehen. Dort führt er Drogendealern vor, wie man eiskalt die Oberhand über die halbe Unterwelt gewinnt. Filmisch spielt dabei das Stilmittel des „Underplaying" eine tragende Rolle.

Opferrituale

Dieses „Underplaying", eines der wichtigsten Stilmittel Kitanos, darf keineswegs mit der Coolness der Protagonisten amerikanischer Gangsterfilme verwechselt werden. Denn hier geht es nicht um sprücheklopfendes Imponiergehabe, sondern um die Unterwerfung unter den Ehrenkodex der Yakuza und um die Beachtung ihrer Rituale. Verstöße können bedeuten, dass ein Mitglied einen Finger opfern muss, oder gar durch Harakiri sein Leben. Großflächige Tätowierungen demonstrieren den Rang eines Mitglieds und werden, wie in Kitanos Filmen, nur in bestimmten Momenten gezeigt.

Auch ein biographischer Bezug Kitanos zur Yakuza mag dazu beitragen, dass der Regisseur sich immer wieder diesem Thema widmet. Takeshis Vater bestritt hier eine wenig erfolgreiche Karriere: Sein Scheitern gipfelte darin, dass er sich gezwungen sah, sein Brot durch „ehrliche" Arbeit zu verdienen.

Nun liegt auf der Hand, dass es für einen Regisseur kein Leichtes sein dürfte, die Zustände der „japanischen Mafia" auf die Leinwand zu bringen. Denn nicht zuletzt ist auch die Film- und Fernsehproduktion in fester Hand der Yakuza. Vielleicht lässt sich so erklären, dass Kitano schon in Sonatine (1993) einen Yakuza spielte, der seiner Aufgaben müde, erst am Strand wieder auflebt, wenn er mit einem „Bruder" ­ denn so reden sich die Yakuzas gegenseitig an ­ Nonsens machen kann.

Peter Wick

„Brother" läuft seit 18.1. (Kitanos Geburtstag) in den Kinos.

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