Ausgabe 01 - 2001berliner stadtzeitung
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Du bist Philosoph, ich habe Durst

Gedanken zum Projekt „Interessiert mich nicht" von Lothar Feix

Im Herbst des vergangenen Jahres fand ein denkwürdiger Abend statt. Im Torpedokäfer, Stammsitz der Sklaven/ Sklavenaufstand- und Gegner-Redakteure, Autoren und Sympathisanten, trafen sich rund fünfzig Aktivisten und Voyeure aller Altersgruppen, vor allem die Älteren.

Worum ging es? Der frischangeworbene Nachwuchsrevolutionär RAST rief zur Einnahme des Kur-Örtchens Heiligendamm auf. Einige Stunden lang flackerte Tatlust in den Augen der ergrauenden Philosophen und langzeitarbeitslosen Gelegenheitsautoren wie Lothar Feix.

Die Aktion scheiterte, bevor ihr Programm auf den Punkt gebracht werden konnte. Lothar Feix trug in entscheidendem Maße dazu bei, als er die harmlose Frage stellte, wen es denn zu befreien gälte in Heiligendamm, dessen Kurgelände aus den Klauen der Fundus-Gruppe freigeboxt werden sollte. Ratlosigkeit, Verlegenheit kamen auf. Na, zwei Leute leben da noch, gestand RAST ein. Lothar setzte nach; und, wollen die von uns gerettet werden? Das war nicht auszumachen, es handelte sich wohl um eine greise Andenkenverkäuferin und einen älteren Hausmeister.

Lothar nickte bedeutungsschwer zu mir herüber. Zwei Stunden vorher hatte ich ihn mit diesen und jenen Novitäten überhäufen wollen und war an seinem „interessiert mich nicht!" abgeprallt. Typisch Lothar, er brachte jede unformierte Gruppierung gefährlich ins Wanken. Mit den Kameraden Papenfuß, Radloff und anderen gelüstete es ihn einmal, einen 100er Bus zu kapern, aber niemand schaffte es, den Kneipentisch zu verlassen.

Nach einem Jahr Ratlosigkeit inszenierte Lothar Feix mit der Sektion revolutionärer Ignoranz die Aktion DESINTERESSE, um „gemeinsam dafür zu demonstrieren, nicht länger interessiert zu werden! Wir fordern, dass DIE, die uns ständig einreden, was UNS zu interessieren hat, endlich IHRE wahren Interessen offenbaren, damit offenbar wird, dass diese uns nicht interessieren! Es interessiert uns einfach nicht! Schluss mit der verordneten Heuchelei!!!!!!!"

Das hier stark verkürzt wiedergegebene Pamphlet rief zur Demonstration im Mauerpark auf, wo sich im September 2000 eine Handvoll Philosophen, ein Journalist, zwei Polizisten und Lothar Feix versammelten (die Ankündigung erschien aus Kalkül mit einmonatiger Verspätung im Zentralorgan Gegner). Das schlimmste wäre gewesen, wenn viele gekommen wären, meint Lothar heute. Er hat Werbung gemacht, aber gehofft, dass keiner kommt.

Das Interesse am Desinteresse ist nunmehr erlahmt. Zum Jahresanfang hat Lothar Feix im Torpedokäfer ein neues Plakat aufgehängt. Diesmal fordert er, kund zu tun, „was wir alles lieber sind als deutsch, & worauf stolz zu sein wir weder Lust noch Zeit verschwenden wollen! Zum Beispiel: ein Toastbrot; Radfahrer; etwas Schimmelndes; gelegentlich betrunken oder verliebt; Karl Mickel; wenn das Laub im Frühjahr fällt, geschlechtsreife Bäume; Kind & Kegel; Max & Hoelz; Echter Hansen Rum... schlicht und dagegen." Man möge die Reihe beliebig fortsetzen.

Lothar stromert mit interessanten Ideen umher, die er in seinen schönen kleinen Notizbüchern verstaut, um sie zu gegebener Zeit auszubreiten. Doch konsequenter Aktionismus ist seine Sache nicht. Bei der „Desinteresse-Demo" fragte ein Philosoph, wann die theoretische Untermauerung folgen würde und Lothar sagte „du bist Philosoph, ich habe Durst" ­ und ging Bier holen.

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