Ausgabe 01 - 2001berliner stadtzeitung
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Wenn es euch nicht passt, kauft euch doch ein Haus

Sozial verträglich und ökologisch möchte Suitbert Beulker, der Eigentümer der Häuser Rigaer Straße 94, 95, 96 und Liebigstraße 14 in Friedrichshain, sanieren. Doch Gespräche über eine vertragliche Absicherung des in der Rigaer Straße 94 ansässigen autonomen Kultur- und Wohnprojektes lässt er platzen und schickt stattdessen die fristlose Kündigung wegen angeblicher Mietrückstände.

Ärger sind die Bewohner der Rigaer Straße 94 gewohnt. Zumeist durch Polizeieinsätze, denn während in der nur einige Straßenzüge entfernten Kneipenmeile Simon-Dach-Straße nächtlicher Lärm für die Bewohnerschaft zur Tagesordnung gehört, kam bei Partys in den Vereinsräumen der Rigaer Straße 94 nicht selten gleich eine Hundertschaft Polizeibeamter vorbei, um das angeblich ruhestörende Treiben zu beenden. Daneben gehörten Hausdurchsuchungen und eine teilweise Zerstörung der Inneneinrichtung der Gemeinschaftsetage bei einem Einsatz zur Durchsetzung einer ­ mittlerweile wieder aufgehobenen ­ baupolizeilichen Sperrung dieser Räume zum Alltag.

Seit letztem Jahr kommt der Ärger nun von einer sich alternativ und sozial gebenden Seite: Dr. Suitbert Beulker, schon Eigentümer von drei benachbarten Häusern, erwarb nun auch die
Rigaer 94. Zum Pech der Bewohner, die ihr Haus selbst kaufen wollten und schon ein Finanzierungskonzept entwickelt hatten. Für Beulker indes ist das weitere Haus die „Verwirklichung eines alten Kindheitstraums, ein ganzes Ensemble von Häusern zu sanieren". Dabei, so betonte er, möchte er sozial verträglich sanieren, inklusive Blockheizkraftwerk und begrüntem Innenhof. In den Erdgeschossräumen würde er gerne Cafés und Naturkostläden einziehen lassen. Kritiker aus den Häusern befürchten jedoch, dass gerade dadurch die Straße für ein betuchteres Publikum mit Öko-Touch attraktiv wird. Hier, in einer der Gegenden mit den geringsten Einkommen, könne das fatal sein, wie Beispiele aus Prenzlauer Berg zeigen.

Das Wohn- und Kulturprojekt Rigaer Straße 94 besitzt schon seit Jahren Einzelmietverträge für die Bewohner, ebenso einen Rahmenvertrag, der vom Hausverein abgeschlossen wurde. Da die Gruppe nach wie vor Interesse hatte, das Haus zu kaufen, verhandelte sie mit Beulker über einen Rücktritt vom Kaufvertrag. Da dieser jedoch mit der Aussage: „Das ist jetzt meins, das gebe ich nicht mehr her", ablehnte, forderte der Hausverein von Beulker, den Rahmenmietvertrag und damit eine Selbstverwaltung des Hauses als autonomes Projekt anzuerkennen.

Selbstverwaltung nur mit Hausordnung und Einkommensnachweis

Beulker tut sich mit der Akzeptanz einer Selbstverwaltung in einem seiner Häuser sichtlich schwer. Einen Rahmenvertrag würde er abschließen, aber nur, wenn die Bewohner der Rigaer Straße 94 seine Hausordnung akzeptierten und für Menschen, die neu ins Projekt ziehen, Einkommensnachweise vorlegten. „Zuviel Kontrolle und Einmischung seitens des Eigentümers", hieß es darauf aus dem Hausprojekt, in dem es schließlich darum ginge, selbstbestimmt zu leben und gerade auch Menschen mit niedrigem Einkommen eine Wohn- und Lebensperspektive zu geben.

Ein Runder Tisch unter Beteiligung von Bezirksamt, Mieterberatungsgesellschaft und den Vermittlern Ralf Hisch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Barbara Oesterheld (Bündnisgrüne) wurde einberufen. Bemerkungen Beulkers wie, von diesen Kindern ließe er sich nichts vorschreiben, oder wenn das, was er hier in seinen Häusern vorhabe, ihnen nicht passen würde, sie sich doch ein eigenes Haus kaufen sollten, waren nicht unbedingt konstruktiv.

Schuss vor den Bug

Die Situation verschärfte sich, als Beulker Heizungsrohre legen wollte, vom schon fertiggestellten Blockheizkraftwerk durch die Kellerräume der Rigaer Straße 94 zum Nachbarhaus Rigaer Straße 93, für dessen Sanierung er die Bauleitung macht. Aufgrund der schon angespannten Situation verweigerten ihm die Bewohner des Hausprojektes den Zutritt, später willigten sie ein, die Rohre zu einem von ihnen festgelegten Termin verlegen zu lassen. Beulker versuchte über eine einstweilige Verfügung, Zutritt zum Haus zu bekommen.

Gleichzeitig brach er die Verhandlungen am Runden Tisch ab. Und kurze Zeit später erhielt das Haus die fristlose Kündigung wegen angeblicher Mietrückstände. Den Mietern ist die Bankverbindung von Beulker aber erst am 19. Dezember mitgeteilt worden ­ erst, nachdem die Leute vom Hausprojekt ihn darauf aufmerksam gemacht hatten. „Ein heftiger Schuss vor den Bug kann nicht schaden", ist Beulkers Kommentar. Mittlerweile sind die angeblichen Mietschulden der Rigaer 94 auf dem richtigen Konto.

Friede, Freude, Eierkuchen ist damit aber noch lange nicht eingekehrt. Auch in den Häusern Rigaer 95 und 96 äußert sich Unmut der Mieter über nicht eingehaltene Zusagen und Termine Beulkers. Dort haben die Sanierungen schon begonnen. Und eine einvernehmliche Lösung für die weitere Zukunft des Hausprojektes liegt ferner denn je. Die Vermittler des vorerst gescheiterten Runden Tisches sind ratlos: „Wenn Herr Beulker der Meinung ist, den Runden Tisch verarschen zu können, dann muss er selber klarkommen. Er muss nun mal anerkennen, dass die Leute hier Vertäge und auch Rahmenvereinbarungen haben. Wenn er meint, das ist sein Haus, er kann hier rauschmeißen wie er will, dann täuscht er sich. Auch seine Heizungsrohre hätte er mit einer anderen Einstellung gegenüber dem Hausprojekt schon längst verlegen können, wir waren doch schon kurz vor einer Einigung", erzürnt sich Ralf Hirsch vom Bausenat. Auch Barbara Oesterheld versteht Beulkers Reaktion nicht: „Er ist doch ganz anders eingestiegen mit sozialen Ansprüchen und so ­ und jetzt will er die Leute rausschmeißen. Er muss nun mal akzeptieren, dass diese Leute seine Vertragspartner sind, die er nicht wie kleine Kinder behandeln kann." Frau Oesterheld möchte nochmal mit Beulker reden, damit er an den Verhandlungstisch zurückkehrt und „diesen Quatsch sein lässt".

Michael Philips

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