Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Tropfen in der Badewanne ­ Berlin, wie es ist

Anlässlich seines zehnjährigen Bestehens veranstaltete der scheinschlag Ende November zwei öffentliche Podiumsdiskussionen. Um die Zukunft der Bürgerbeteiligung nach der Bezirksfusion ging es am 20. November im Theaterhaus Mitte, am Abend darauf wurde über die Rolle der Printmedien bei der Berliner Stadtentwicklung diskutiert.

Weniger Häuptlinge, mehr Indianer?

Die erste Diskussionsrunde litt merklich darunter, dass kein Verfechter der Bezirksfusion anwesend war. Mittes Bezirksbürgermeister Joachim Zeller (CDU) vermutete gar, dass es überhaupt nur noch einen Befürworter gebe: Schulsenator Böger. Allen anderen sei der Senatsbeschluss von 1998 zur Zusammenlegung der Bezirke mittlerweile peinlich. Der eingeladene Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, der die Fusion wenigstens hätte verteidigen müssen, schickte seinen Referatsleiter Dieter Geffers, der auch nur leidenschaftslos meinte, man müsse nun aus der Situation das Beste machen.

Der Moderator Wolfgang Kil konfrontierte Zeller mit seiner Aussage von 1996: „Die Bezirksfusion würde ein Riesenchaos geben", befürchtete er damals im scheinschlag-Interview. „Wir versuchen, das Chaos in Grenzen zu halten", sagte Zeller daraufhin, wenige Wochen, bevor er das Bürgermeisteramt des fusionierten Bezirks Mitte antritt. Für seinen Amtskollegen Wolfram Friedersdorff (PDS), künftiger Bürgermeister von Lichtenberg-Hohenschönhausen, war das Schlimmste die einjährige Übergangszeit zwischen den BVV-Wahlen im Oktober 1999 und der endgültigen Fusion am 1. Januar 2001. „Das hat zu Zuständen geführt, die dem Chaos ziemlich nahe kommen."

Wolfgang Kil fürchtete um die lokale Demokratie: „Was zählt meine Stimme noch, die sich bisher als Tropfen in einer Tasse behaupten musste und sich jetzt in einer Badewanne wiederfindet?" Christof Schaffelder vom scheinschlag bemängelte, dass Bürgerbeteiligung in Berlin nur punktuell stattfindet ­ eine „Notstandsdemokratie" ­ und forderte, unterhalb der Bezirksebene eine institutionalisierte Repräsentanz einzurichten. In vielen kleineren Städten gibt es auf Stadtteilebene gewählte Ortsbeiräte, Berlin sei dagegen ein „Entwicklungsland". „Die lokale Kompetenz wird flöten gehen", so Schaffelder, „Berlin wird eine verwaltete Stadt und keine demokratisch regierte Stadt."

Markus Heller von der Betroffenenvertretung Spandauer Vorstadt sah die Gefahr, dass im Zuge der Fusion Verwaltungsmitarbeiter, die mit der örtlichen Situation vertraut sind, verschwinden. Um dem entgegenzuwirken, hat Wolfram Friedersdorff in Lichtenberg-Hohenschönhausen das Stadtplanungsamt dezentralisiert: In jedem Ortsteil zwischen Wartenberg und Karls-horst wird es ein eigenes Stadtplanungsamt mit einem eigenen „Stadtteilarchitekten" geben.

„In der Fusion liegt auch die Chance, dass sich die Verwaltung künftig die Kompetenz der Betroffenenvertreter zunutze macht", meinte Markus Heller. Dieter Geffers stimmte ihm zu: „In den Senatsverwaltungen müssen die Leute auch lernen, dass sie bestimmte Dinge nicht mehr zu tun haben."

Die allgemeine Unlust am Thema wertete Wolfgang Kil als gutes Zeichen: So hätte auch niemand „Lust für böse Taten". Das Chaos produziere eine Unregierbarkeit, die große Chancen berge. Joachim Zeller zitierte daraufhin ein polnisches Sprichwort: „Polen besteht durch seine Unregierbarkeit", und Lichtenbergs Bürgermeister Friedersdorff setzte noch eins drauf: „Wir haben eine Städtepartnerschaft mit Warschau!"

Medien ­ Vordenker oder Nachbeter der Stadt?

Die Ansichten über die Rolle der Medien in Berlin waren von Anfang an grundverschieden: „In Berlin sieht man sich gezwungen, sich zwanghaft nach vorne zu loben", meinte die Architekturkritikerin und Publizistin Simone Hain, während der Zeit-Redakteur Klaus Hartung feststellt: „In der Berliner Lokalberichterstattung herrscht ein pessimistischer, kleinkarierter Grundton vor." Auch während der Diskussion näherten sich die Standpunkte nicht an.

Simone Hain kritisierte, dass sich die Stadt „ständig zum Kauf anbietet" und dass die öffentliche Selbstdarstellung „ganz weit weg von den tatsächlichen Lebensumständen" sei. Bärbel Petersen von der Marketing-Agentur „Partner für Berlin" verteidigte sich: „Wir zeigen Berlin, wie es ist. Was in der Zeitung steht, entscheiden die Journalisten." Der Slogan „Das Neue Berlin" stamme von den „Berliner Festspielen", „Partner für Berlin ist aber auch nichts Besseres eingefallen", so Petersen. Die Betonung auf das „Neue" stoße die Bewohner vor den Kopf, bemängelte Hans-Wolfgang Hoffmann, Journalist für die Berliner Zeitung und die taz. „Damit werden Erwartungen erweckt und Enttäuschung produziert."

Angesprochen auf seine Rolle bei der Propagierung des Planwerks Innenstadt, die von der Wochenzeitung Die Zeit ganz massiv vorangetrieben wurde, beschwerte sich Klaus Hartung über die martialischen Ausdrücke, mit denen das Planwerk kritisiert wurde: „Zu behaupten, das Planwerk sei eine ,Kampfansage an die Moderne', ist Quatsch", sagte Hartung, um im nächsten Atemzug gegen die „Betonklaue" der Fernsehturm-Umbauung zu wettern, die in einer „barbarisch antikirchliche Geste" nach die Marienkirche greife.

Kritische Stimmen haben mittlerweile kaum noch eine Chance: „Alles, was ich sage, fällt sofort in die Schublade ,Ost'", berichtete Simone Hain, „das kommt mir vor wie ein Kaspertheater." Wenige Tage zuvor war sie in einem Artikel, den der neben ihr sitzende Hans-Wolfgang Hoffmann in der Berliner Zeitung veröffentlichte, als „einstige SED-Größe" diffamierte. Hoffmann entschuldigte sich. Dass der Begriff „SED-Größe" reingerutscht ist, sei „Redaktionsinterna geschuldet".

Warum die Medien nach 1996 fast ausnahmslos auf Planwerkskurs einschwenkten, erklärte Hans-Wolfgang Hoffmann damit, dass es „keine schlüssige Alternative" gab. Auf die Frage, warum Hartung in der Zeit zwar für das Planwerk eingetreten sei, nicht aber gegen die von ihm heftig abgelehnte Bezirksfusion geschrieben habe, entgegnete er, die Bezirksreform sei kein Thema von überörtlichem Interesse. Zwischen seiner Tätigkeit in der Stadtforums-Lenkungsgruppe des Stadtentwicklungssenators und seiner Arbeit bei der Zeit konnte Hartung überdies keine Kollision erkennen.

Wie die Verflechtung der Medien mit der Stadtentwicklung funktioniert, zeigte Frank Roost, der an der TU Berlin zu diesem Thema forscht, an einem Beispiel aus New York: Der Disney-Konzern baute den traditionsreichen Times Square historisierend um. „Unter massiver Begleitung durch die Times und die Disney-Medien wurde die Geschichte und das Bild der Stadt vereinnahmt, um sich am Platz zu legitimieren", so Frank Roost. Ähnlich sei es schon am Potsdamer Platz gewesen, wo Daimler versucht hat, einen Mythos zu produzieren.

Ein sichtlich angewiderter Klaus Hartung tat zum Schluss seine Vision von Berlin im Jahr 2020 kund: „So etwas wie eine Stadtgesellschaft wird entstehen, die entscheiden kann, sich vom Diktat der Bürokraten, Fachleute und Besserwisser zu emanzipieren ­ so etwas wie eine europäische Normalität ­ die führen nicht solche Debatten wie wir hier."

Jens Sethmann

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 12 - 2000