Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
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Flüchtlingstreck auf Rädern

Die Wagenburg „Laster & Hänger" wird von der Polizei durch die Stadt getrieben

Für ihre Wagenburg tun sie alles: Seit dem 26. November kämpfen die über zwanzig Bewohner der „Laster&Hänger"darum, endlich den ihnen versprochenen neuen Stellplatz für ihre etwa 25 fantasievoll und handwerklich geschickt umgebauten Lkw und Anhänger zu bekommen. An diesem warmen Novembertag hatten die alternativen Mobilisten nach etwa vier Jahren wie vereinbart den alten Wagenplatz am Filmtheater am Friedrichshain freiwillig verlassen. Auf dem Gelände soll eine Seniorenresidenz entstehen (scheinschlag berichtete). Für die freiwillige Räumung erhielten die Bewohner 100000 Mark „Entschädigung" ­ aber kein neues Gelände für ihre etwa zehn Jahre alte und in sich gewachsene Bauwagen-Gruppe.

Versprechen auf Weiterfahrt

Jetzt müssen sie mit spektakulären Neu-Besetzungen, langen Protest-Konvois durch die Innenstadt, einem Riesentransparent „Bauwagenplätze bleiben" an der Marienkirche und Unterschriftenaktionen das Überleben ihrer Kolonie verteidigen. Denn kaum waren die „Laster&Hänger" von ihrem alten Platz runter und auf die neue, selbst ausgesuchte Freifläche am Mauerpark rauf, rückte die Polizei mit schweren Räumbaggern, Abschleppwagen, Panzern und unzähligen Wannen an. In weitem Umkreis sperrten Streifenwagen die Straßen ab, eine Polizei-Flutlichtanlage leuchtete ab etwa halb zehn Uhr abends die Szenerie taghell aus. Gegen 23 Uhr rückten schließlich Beamte auf das Gelände vor und zerrten die Bewohner über Leitern vom Dach eines Wagens, auf dem sich alle versammelt hatten. Einige verletzten sich dabei. Am nächsten Morgen mussten die Bewohner ihre Wagen vom Platz fahren, ein Runder Tisch sollte die Zukunft klären. Doch die Beteiligten gingen ergebnislos ­ aber mit vielen Versprechen im Raum auseinander. Kurz standen die Wagen danach am Velodrom, bis wieder die Polizei zur Weiterfahrt aufforderte.

Eine Sache des politischen Willens

Am Sonntag nun besetzten die Wagenburgler ein neues Grundstück in Prenzlauer Berg an einer malerischen Ruine mit romantisch verwildertem Garten. Ein Lagerfeuer wurde angezündet, eine Volxküche eröffnet und Musik aufgelegt. Doch ein Anwohner rief die Polizei, die dann wieder anrückte. Erst als die Bewohner und ihr engagierter Anwalt Moritz Heusinger den Bezirksbürgermeister Reinhard Kraetzer (SPD), Ralf Hirsch von der Senatsbauverwaltung und den PDS-Abgeordneten Bernd Holtfreter herantelefoniert hatten, wurde eilig nach einer Übergangslösung gesucht. Zwei Nächte hätte die Wagenburg auf einem Parkplatz an einer Autobahnzufahrt in Heinersdorf campen sollen. Doch die Bewohner lehnten ab und ließen sich von der Polizei vom Dach der Ruine tragen, wobei ein Polizist einem Bewohner grundlos auf den Hinterkopf schlug. Die anwesenden Politiker sagten schließlich gemeinsam zu, bei den Pankower Stadtgütern nach einem Platz für die Wagenburgler zu forschen. „Die haben zwar Flächen, aber bisher nur nach Plätzen gesucht, die Wasser- und Stromanschluss haben", sagte Holtfreter, der seit langem im Gespräch mit den Wagenburglern ist. „Ein Platz ist nur eine Sache des politischen Willens", meint Till als ein Sprecher der Gruppe.

Handschriften der Innensenatoren

Doch trotz aller Verhandlungszusagen auf Bezirksebene ist die politische Strategie des Senats klar: Keine neuen Wagenburgen zuzulassen, und wenn alten der Platz entzogen wird, möglichst keine Alternativen anbieten. Das Ende ist dann in der Regel ein Fall für die Polizei.

So auch diesmal. Der Art des Einsatzes trägt deutlich die Handschrift von Innensenator Eckart Werthebach (CDU), dem Ex-Verfassungsschutzpräsidenten. Bei seinem Vorgänger Jörg Schönbohm (CDU), dem Ex-General und heutigen Innenminister von Brandenburg, wäre die Sache so gelaufen: Die Wagenburg hätte einen Platz neu besetzt und die Polizei hätte mit viel Gewalt und Personal hart geräumt, die Wagen beschlagnahmt und möglicherweise verschrottet. Werthebach fährt da einen anderen Film: Der gelernte Geheimdienstler setzt hier auf Zermürbungstaktik und Zeit. Außerdem wittert er hier noch kein Thema, wo er sich politisch profilieren könnte.

Strich durch die Taktik

So beobachten Streifenwagen fast rund um die Uhr die einzeln parkenden Lkw, kontrollieren die Bewohner immer wieder, observieren sie beim Einkaufen. Wollen Bewohner zum Arbeiten oder mit ihrem Wagen wegfahren, müssen sie genau sagen, wohin sie fahren. Kontrolle total. Das heißt nicht, dass alle Polizisten bei Einsätzen vor Ort unfreundlich wären ­ schließlich kennt man sich und hat schon gesprochen. Was soll dann diese Mega-Überwachung? Schritt für Schritt sollen die Wageburgler zum Aufgeben getrieben oder ein Vorwand gefunden werden, schrittweise die Wagen aus dem Verkehr zu ziehen. Doch das stark gestiegene öffentliche Interesse an den kreativen, humorvollen, aber auch entschlossenen Bewohnern machte diesen Plänen erstmal einen Strich durch die Rechnung. Denn die Medien reagierten bisher überwiegend freundlich. Nun irren die Wagenburgler schon über eine Woche heimatlos durch Berlin ­ ein Leben unter „Polizeischutz".

Dabei kann dieser Konflikt nur durch ein Umdenken auf Senatsebene politisch gelöst werden ­ zu selbstverständlich müssten die heute teilweise schon über zehn Jahre alten Wagenburgen in dieser Metropole zum Gesamtbild dazugehören. Ähnlich wie Hausboote, Datschen oder Dauer-Campingplätze sollten auch Wagenburgen heute als urbane Realität und Alternative angesehen werden. Niemand kann behaupten, dass in einer Stadt mit dreieinhalb Millionen Einwohnern nicht 4000 Quadratmeter Platz für 25 Wagenburgler wäre!

Thorsten John

Die Ereignisse der letzten Tage um die Laster- und Hängerburg (ehemals Am Friedrichshain 16-18) sind bei www.squat.net nachzulesen. Wer Interesse hat, sollte auf der Mainpage search anklicken und dann die Begriffe Gleimstr. oder Laster & Hängerburg oder Erich Weinertstr. eingeben.

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