Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Truman Show am Tacheles

Amerikanisches Bürgerstadtidyll statt Freifläche geplant

Wieder einmal soll Berlin mit dem Verheißungsprojekt „Urbanität" beglückt werden. „Urbanität", ein Wort, das immer dann bemüht wird, wenn viel und eng gebaut werden soll. Während man sich dann anschickt, teure Firmen- und Ladenadressen zu schaffen, schwubbert das Wort „Urbanität" durch sämtliche Diskussionen und erzeugt eine wunderbare Illusion vom Städtischen. Sonnenbeschienene Piazzas, italienische Springbrunnen oder malerische Märkte entstehen vor dem geistigen Auge. Später wird gebaut und gebaggert, und was bleibt, sind Neubauten, Enge und Büros.

Das besonders Absurde daran ist, dass die Vision der europäischen Stadt diesmal aus den USA eingeführt wird. Ausgerechnet in die Oranienburger Straße, an die Freifläche hinter dem Tacheles. Die „Fundus"-Gruppe, Besitzerin des gesamten Karrees zwischen Oranienburger, Friedrich- und Johannisstraße hat das Planungsbüro Duany, Plater-Zyberk aus Miami mit einem Masterplan für das Gelände beauftragt. Der liegt inzwischen beim Stadtplanungsamt und sieht „traditionelle Stadt" vor. Das heißt nach der Handschrift der Architekten flächendeckende Bebauung, schmale Straßen und kleine Höfe.

New Urbanism

Duany, Plater-Zyberk sind ein Aushängeschild für die amerikanische Städtebaureformbewegung des „New Urbanism". Die Erfahrung völlig zersiedelter Megastädte, die durch Autobahnen zerschnitten werden, hat in den USA vor allem bei der reicheren weißen Mittelschicht eine Sehnsucht nach der „klassischen" Stadt geweckt. Strenge Orientierung an historischen Stadtgrundrissen und regionaler Architekturtradition sowie ein Hochhalten von Community-Werten gehören zu den neuentdeckten Prinzipien. Und das Planungsbüro Duany, Plater-Zyberk sind diejenigen, die vor zwanzig Jahren am Reißbrett die erste „authentische New Town" entworfen haben: den Badeort Seaside, der komplett in neoviktorianischem Stil gebaut ist. Hier wird die Inszenierung des Städtischen durch Feste und Veranstaltungen auf einem eigens dafür angelegten zentralen Platz vollendet. Seaside gilt inzwischen als gelungenes Modellprojekt für den „New Urbanism". Außerdem diente sie als Kulissenstadt für den Film „Truman Show".

Als Antwort auf den amerikanischen „urban sprawl", verbunden mit seiner gesellschaftlichen Segregation, mag diese Hinwendung zu strikter sozialer und räumlicher Reglementierung einen gewissen Sinn ergeben. Was aber geschieht, wenn man sie tatsächlich nach Europa importiert?

Dreckverschmierte Pumps

Vorsichtig ausgedrückt, ein Missverständnis. Der Freiraum hinter dem Tacheles ist bereits ein städtischer Platz. Jegliche Stadtinszenierung ist hier völlig unangebracht. Bislang ist die Tacheles-Ruine mitsamt der wildwüchsigen unangelegten Fläche dahinter ein magischer Anziehungspunkt vor allem für Berlin-Besucher. Die Ruine hat die Patina des Berlin der Jahrhundertwende, gepaart mit dem Reiz des Unfertigen und der Subkultur, die sich dem Berlin-Touristen sonst versperrt. Auch wenn das Tacheles schon lange nicht mehr am Puls der widerspenstigen Jugendkultur ist, hat der Entdecker hier doch das Gefühl, einen anarchischen Raum zu erobern. Dafür nimmt die Chefsekretärin aus Moskau schon mal ein paar verdreckte Pumps in Kauf, weil man im Dunkeln durch den Matsch tappen muss. So kommt es, dass man in warmen Sommernächten im Tacheles-Garten mehr Fremdsprachen hört als Deutsch. Und an den Tischen sitzen Leute im Anzug, die sich neben Leuten im Rasta-Look durchaus wohl fühlen. Sicherlich wird im Tacheles das Anarchische in Szene gesetzt, dennoch entsteht ein interessanter öffentlicher Raum, in dem Begegnungen stattfinden.

Zille'sche Hofidylle

Duany, Plater-Zyberk tun so, als sei vor ihrer Planung am Tacheles gänzlich Tabula Rasa gewesen ­ obwohl zu ihren städtebaulichen Grundsätzen gehört, einen Ort stets aus seinem Kontext heraus weiterzuentwickeln. Der Tacheles-Garten wird vollständig unter einem „Bürgerstadtidyll" begraben. Hinter dem Kunsthaus bleiben laut Plan nur zwei kleine Höfe übrig. Natürlich wissen wir, dass das alte Berlin überall enge Höfe hatte. Und nach dem Hobrechtplan orientierte sich die Mindestgröße eines Hofes tatsächlich daran, dass eine Feuerspritze darin wenden können musste. Anders als amerikanische Städte aber, hat Berlin ohnehin das klar erkennbare räumliche Gepräge einer Stadt der Jahrhundertwende und daher müssen nicht alle Höfe eng und nicht alle Häuser „Bürgerhäuser" im traditionellen Gewand sein. Im Gegenteil: Die „Urbanität" der Spandauer Vorstadt gewinnt entscheidend, wenn die Regelmäßigkeit der klassischen Bebauung durch einen spannenden Gegensatz aufgebrochen wird. Duany, Plater-Zyberk hingegen bleibt diese Stadterfahrung jedoch offenbar verschlossen. Schließlich ist der „New Urbanism" auch aus einem amerikanischen Kontext heraus entstanden, und nicht aus einem hiesigen.

Neo-Klassizismus

Konkret bedeutet der Masterplan nun, dass sich alle Beteiligten ­ zwangsläufig ­ auf den städtebaulichen Entwurf einlassen. Beim Stadtplanungsamt ist man über die klassizistische Geste nicht glücklich ­ im Moment favorisiert „Fundus" nämlich, um den Traditionalismus auf die Spitze zu treiben, den Neoklassizismus-Papst Robert Stern als Architekten. Eine Architekturskizze, die derzeit im Gespräch ist, zeigt Zuckerbäckerstil mit Erkern und Gesimsen à la Hotel Adlon ­ bezeichnenderweise auch ein „Fundus"-Projekt. Hinzu kommt, dass die Bauten mehrere Dachgeschosse haben und insgesamt bis zu neun Stockwerke erreichen sollen. Das ist für die Spandauer Vorstadt eindeutig zu hoch. Entgegen den früheren Erwartungen der „Fundus"-Gruppe, den Plan schnell abstimmen zu können und im Dezember noch öffentlich zu präsentieren, wartet das Bezirksamt nun das Votum der neuen Baustadträtin Dorothee Dubrau ab. Entscheidend für den Erfolg der Planung wird sein, ob es „Fundus" und den Stadtplanern aus Miami gelingen wird, die Betreiber des Tacheles in ihr Boot zu holen. Alle derzeitigen Gespräche mit „Fundus", so ein Sprecher des Stadtplanungsamtes, würden nur unter dem Vorbehalt geführt, dass eine Einigung mit dem Kunstverein zustande kommt.

Tina Veihelmann

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 12 - 2000