Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Ein Kontinent sieht schwarz

Eine neue Topographie des Terrors?

Ein Gespenst geht um, aber kein gutes. Als angeblich ruchbar geworden war, ein Kind sei wegen seiner Rasse in einem öffentlichem Schwimmbad von einem rechtem Pöbel ersäuft worden, mochte sich niemand mehr für die Bürger einer heimeligen Stadt in Sachsen erwärmen, denn im „Osten" schien die allgemeine Preisgabe jeder Menschlichkeit längst Norm zu sein. Pogrome und Nazimorde haben längst die Ex-DDR in Reiseführern zu einer No-go- area für Nicht-Weiße avancieren lassen ­ man könnte sich abwenden und dies alles mit einem unausrottbaren braunen Virus erklären, der in der Nazizeit allen Deutschen eingeimpft worden sei. Aber was da an brauner Soße aus dem Untergrund hervorzuquellen scheint, sickert in Österreich längst aus dem Bundeskanzlerpalais, in Belgien gibt es nicht nur Kinderpornos sondern einen soliden völkischen Block, Frankreich hat etliche Bürgermeister der Front National, in Italien steht der Rechtsblock unter offenen Einschluss der Neofaschisten vor einem erneuten Wahlsieg, und in dem Rest des Kontinentes sehen die Dinge auch dann nicht rosig aus, wenn man die Kriege in dem ehemaligen Jugoslawien als vergessen ansieht.

Wollte man das Anwachsen der neofaschistischen Ideologie und den steigenden Pegel völkischer Gewalt in Europa ursächlich durch ökonomische Malaise oder Hereinfluten von fremdem Völkern erklären, wie es häufig en vogue ist, wie es unter der Regierung Kohl gängige Regierungspraxis gewesen ist, so müssten sich die Epizentren des Hasses in den urbanen Armenquartieren mit hohem ausländischen Bewohneranteil finden, im Wedding oder im Hasenbergl, im Londoner East End oder in den Banlieus von Paris. Und auch wenn, zynisch gesagt, vor allem die urbanen Unterschichten mit der multikulturellen Gesellschaft betraut werden, so zeigen diese nur punktuell rechtsradikale oder offen rassistische Tendenzen. Natürlich gibt es lokale Entsprechungen und Stimmen, wie jene in einem der Hamburger Ghettos, die sich im Fernsehen als DVU-Wähler bekannt hatten, weil sie die Gangs der Türken leid seien. Doch für die „völkisch reinen" Jugendgangs von Mecklenburg trifft dies nicht zu, geschweige denn für die Caféwirte in Split, die während des Jugoslawienkrieges UNO-Soldaten aus Afrika nicht bedient hatten, weil sie Schwarze waren ­ wer da unerwünscht ist, wollte ohnehin nie bleiben.

Auch ein Mangel an Arbeit und wirtschaftliche Depression taugen nicht viel als Erklärung, denn einige Epizentren des Hasses liegen in den reichsten Region Europas, in Schweden, Flandern, in Österreich und in Norditalien, dessen wirtschaftliche Potenz die von Mecklenburg so weit übertrifft, wie letztere die von Kasachstan. Man könnte ausweichend sagen, dass in armen Regionen die Rechtsradikalen die Straße erobern, in reichen dagegen die Parlamente, wäre da nicht das immer noch sozialstaatliche Schweden, dessen Nazis ein terroristisches Netzwerk aufgebaut haben. Man mag es wie in Belgien, Italien oder Österreich mit den korrupten Filz der Regierungen erklären, die der Gesellschaft das moralische Mark aus den Fingern gesaugt hätte, und das an Haider, der sich durchaus erfolgreich als „Ombudsman" der kleinen Leute geriert, belegen. Aber warum dann ein Mann wie Berlusconi, der gelinde gesagt als nicht „sauber" gilt, ausgerechnet zum Retter der italienischen Gesellschaft avancieren kann, bleibt für jede Erklärung in diesem Kontext ein Rätsel: Mag man, ginge es um law and order, jemanden wie ihn wählen?

„Kein Faschismus hat das geschafft, was der Zentralismus der Konsumgesellschaft geschafft hat", schrieb Pasolini in seinen „Freibeuterschriften": Es sei die moderne Konsumkultur, die, durch das Fernsehen vermittelt, regionale und soziologisch definierte Binnenkulturen zerstört und den „Konsumenten" als scheinbar gleichgeschalteten Typus etabliert hätte. Pasolini war als Homosexueller sehr skeptisch, was die Werte Italiens vor der Ära des TV anging (über die Werte von Deutschland könnte man wohl weit schlimmeres sagen). Trotzdem resümierte Pasolini bitter, was Mussolini nicht geschafft habe, hätte das Fernsehen erreicht, nämlich ein Zentrum, was „sämtliche peripherischen Kulturen zerstört hat, die noch ein eigenständiges und im allgemeinen auch unabhängiges Leben garantiert hatten". Und ein tief pessimistischer Marshall McLuhan sagte 1969 im Fernsehen „Every child on the planet since TV has lost his identity and so becomes a violent force ­ a lumpenproletariat of Marxist violence", wobei ihm in der Prognose ein kleiner Fehler unterlaufen ist, weil die Erzählung der Gewalt in den Neunzigern in der Hand der Fundamentalisten und Faschisten liegt.

Werden die Rechten fündig, weil die „linke" Kritik am Kapitalismus in dieser Hinsicht verstummt scheint und die Symptome der Verwüstung bleiben? „Nicht diese oder jene Form der Achtung vielfältiger Erscheinungen wird heute in Frage gestellt, sondern das Prinzip der Vielfalt als solches", schrieb Denis Duclos in der „Le monde diplomatique" über die Globalisierung. Man könnte sich auf die Seite der Rechten schlagen und sagen, dass Hass Folge der Zerstörung oder der Bedrohung kultureller Traditionen sei: Nur waren zu Beginn dieses Jahrhunderts die Bürgerkriege im späteren Jugoslawien kaum weniger verbittert als jene achtzig Jahre später. Wobei oft die Opfer zu Tätern werden und zu Agenten der Gleichschaltung erwachsen: Die neue, oft hybride, „nationale" Identität verlangt das Opfer der Minderheiten.

Die Republikaner in den USA, die in Verbindung mit nahezu vollständiger Kontrolle über die Massenmedien religiösen Fundamentalismus und absolute Begünstigung für das Großkapital propagieren, sind wie Berlusconi Gewinner in dem Spiel. Die Schläger in Brandenburg können für die Jahre ihrer Jugend, die sie in ihrer kulturellen Öde mit ähnlichen Zeichen wie türkische Gangs ausstaffieren, glauben, dass sie gleich „Terminator" Sieger seien, wenn sie mit ihrem tiefergelegten Golf durch die Alleen brettern. Man mag in ihnen die tristen Beispiele für den kulturellen Kahlschlag der Neunziger entdecken, wären nicht die Dinge in der Spätphase der DDR nur graduell verschieden gewesen: Die Kultur war schon damals ruiniert in den bleiernen Jahren der gesellschaftlichen Stagnation. Es sind Qualität und Stärke des bedrohten Partikularen, die Geschichte der einzelnen und ihrer Gemeinschaften, die entscheiden, ob eine Geschichte des Hasses geschrieben wird.

GMZ

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 12 - 2000