Ausgabe 11 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Aus dem Bauch

Nachlese zum NPD-Aufmarsch vom 4.11.2000
Von Willi Ebentreich

Nein, es ist keine Schande, als kleine Stadtteilzeitung „scheinschlag" zehn Jahre, nachdem wir unter dem Eindruck der Prügel der Polizei (West) in der Mainzer Straße die erste Ausgabe des „scheinschlag" herausbrachten, einen lächerlichen Termin wie den Aufmarsch der NPD am 4.11.2000 in Mitte zu „vergessen". Ziehen wir einmal die Gaffer und Analphabeten ab, so befindet ihr euch auf der sicheren Seite, wenn ihr nicht zu den 700 Gegendemonstranten oder umgerechnet 0,00015% der Berliner zählt, die sich den etwa 1300 NPD-Anhängern entgegenstellten.

Nein, es ist keine Schande für Schreiber und Leser, sich nicht von der Polizei schlagen und treten zu lassen. Denn nicht jeder Mensch braucht die Erfahrung und Einsicht, dass der Staat ihn zu dem geprügelt hat, der er jetzt ist.

Nein, es ist keine Schande, nicht miterleben zu müssen, wie ausgewiesene Pressefotografen sich durch verbale Drohungen von einzelnen Polizisten wie „Tu es nicht!" (das Fotografieren) so eingeschüchtert fühlen, daß sie in dem Moment aufhören, ihren Beruf auszuüben, und panische Angst haben, auf der Stelle von eben diesen Polizisten zusammengeprügelt zu werden.

Nein, es ist keine Schande, einen Polizisten nicht zu beobachten, der mit voller Kraft einem Gegendemonstranten ins Gesicht schlagen will, ihn verfehlt, sich dabei den Arm auskugelt und damit wohl auf der Liste der verletzten Polizisten landet.

Nein, es ist keine Schande, nicht das gute Gefühl von ca. 250 jungen Menschen zu erleben, die sich am August-Bebel-Platz - auf dem 1933 die Nazis Bücher verbrannten - dem gepanzerten Mensch Polizei entgegenstellen, der letztlich mit Gewalt die Straße für die NPD freimacht.

Nein, es ist keine Schande, kein Mensch von denen zu sein, die sich nicht seit Jahrzehnten mit dem ausländerfeindlichen Müll der „Volksparteien" haben zukübeln lassen.

Nein, es ist keine Schande, Ausländer nur dort zu mögen, wo sie herkommen, denn ihr befindet euch in der guten Gesellschaft derjenigen, die weder etwas dagegen tun können noch wissen, daß Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe erschlagen werden.

Nein, ich war am 9.11. nicht mit den politischen und wirtschaftlichen Brandstiftern auf der Straße, die durch ihr Rechtssystem den Rassismus unterstützen. Keinen Schritt mit jenen, die durch ihre Weigerung, in den Entschädigungsfonds für die Opfer der Nazizeit einzuzahlen, ein zweites Mal am Tod der Ausgebeuteten verdienen.

Willi Ebentreich initiierte im Sommer 1990 die Gründung der Zeitung „scheinschlag". Heute leitet er das Belichtungsstudio tripple aaa.

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 11 - 2000