Ausgabe 11 - 2000berliner stadtzeitung
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Vom Charme alternativer Zeitungen

von Wolfgang Sabath

Die Krone aller Redaktionen, die für alternativ gehalten werden oder sich selbst so definieren, ist das Plenum. Ohne Plenum (auch Vollversammlung oder - besonders irreführend - Redaktionssitzung genannt), geht bei einer alternativen Redaktion absolut nichts. Weil sich solche Redaktionen stets einreden, basisdemokratischen Gepflogenheiten verpflichtet zu sein, ist so ein Plenum das A und O basisdemokratischer Zeitungsherstellung. Besonders wichtig: Zu einem solchen Plenum gehören außer den Redakteuren auch die technischen Kräfte. Die sind dann oft gehalten, Volkes Stimme zu repräsentieren. Und wehe dem Redakteur, dem ob des mitunter eigenartigen Urteilsvermögens dieser Mitarbeiter etwas wie „Du hast doch gar keine Ahnung davon!" herausrutscht. Denn bei alternativen Zeitungen habe alle von allem Ahnung. Und das kann besonders in einem Plenum vorgeführt werden.

Heiliges Plenum

Darum ist das Plenum heilig und dauert meist stundenlang. Dabei wird die letzte Ausgabe gelobt (von denen, die hauptsächlich an ihr beteiligt waren) oder aber in Grund und Boden getadelt (von denen, die sich herausgehalten hatten). Und es werden die kommenden Aufgaben besprochen. Doch das sind, in einem richtigen Plenum nur Nebenaspekte. Die Hauptaufgabe des Plenums ist die Herbeiführung von Nervenzusammenbrüchen und von Krächen ohne Zahl. Die werden vor allem durch Unterstellungen und durch persönliche und politische Beleidigungen erzielt. Natürlich wird auch herzlich gelacht. Das Lachen ist aber nicht immer so gemeint, sondern auf den Plena von Alternativblättern wurde das sogenannte „Mobbinglachen" erfunden. Da wird sich nicht totgelacht, da wird totgelacht.

Aber, wird der staunende Leser möglicherweise zu bedenken geben, vielleicht ist die Basisdemokratie diesen Preis wert? Da Zeitungmacher diese Methode immer wieder diese zu praktizieren versuchen, könnte vielleicht an dieser Argumentation etwas dran sein. Für mich allerdings nicht mehr, und immer, wenn ich das Gefühl habe, meinen Frust über diese Art des Zeitungmachens nicht recht verdeutlichen zu können, behelfe ich mich mit folgendem Erlebnisbericht:

Eine Wochenzeitung. Stundenlanges Palaver über das nächste Titelbild. Tränen, Wutausbrüche, Spott und Hohn, Zustimmung, Ablehnung, Pro, Contra, Lust- und Frustgeheul. Schließlich der Konsens, Beschluß. Eine halbe Stunde später begebe ich mich in den Raum des Layouters und sehe: Der richtet doch gerade ein ganz anderes Foto als Titelbild her als jenes, das im Plenum beschlossen worden war! „Ach", sagt der Kollege, „ich habe doch lieber ein anderes genommen."

Allerdings gibt es - versöhnliche Schlußpassagen machen sich immer gut - auch Konstellationen, wo das Plenum eine sehr probate Methode der Zeitungsproduktion ist. Allerdings nur, wenn die Zahl der Teilnehmer nicht größer als drei ist. Das garantiert erstens eine relativ befristete Konferenzdauer (schließlich kann ein einzelner nicht drei oder vier Stunden herumkrakeelen), und zweitens garantiert die Zahl drei immer übersichtliche und vor allem eindeutige Abstimmungsergebnise.

„Wir können sogar Honorar zahlen"

Alternative Zeitungen eint nicht nur der basisdemokratische Impetus, sondern auch der Mangel an Geld. Das kann auch Vorteile haben: Wer nichts oder fast nichts zu verlieren hat, kann leichter das Maul aufreißen. So weit, wie er es bei den „richtigen Zeitungen" kaum tun dürfte. Jedenfalls nicht auf Redaktionssitzungen. Ein anständiges Tarifgehalt hat noch den aufmüpfigsten Redakteur diszipliniert.

Doch bei alternativen Zeitungen haben nicht nur die Redakteure äußerst bescheidene Einkünfte (wenn überhaupt), sondern auch die Autoren (wenn überhaupt). Manchmal sind oder scheinen alternative Blätter dermaßen klamm, daß sich ein Autor geradezu geniert, von den armen Schluckern etwas anzunehmen. Doch das sollte er sich tunlichst verkneifen. Weil es mitunter auch vorkommen kann, daß das Honorieren für die Zahlenden wichtiger ist als für die Empfänger: „Wir können /sogar/ Honorar zahlen." Zugegeben, oft kommt das nicht vor, daß die Hungerleider unter den Alternativen derart mit dem Problem umgehen. Aber mir ist das schon passiert. Selbstredend habe ich diesen Stolz immer bedient ...

Redakteurvertriebsleiter und Knastkassen

Wer für Zeitungen tätig wird, bei denen ständig Schmalhans Küchenmeister ist, die aber dennoch die oben erwähnte Art von Stolz pflegen, für den kann es bei Honorarfragen auch zu Erlebnissen sehr besonderer Art kommen. Als mich vor Jahren die Kollegen des damaligen „Straßenfeger" (heute „Straßenzeitung") fragten, ob ich auch für sie zum Griffel greifen würde („Wir können auch Honorar zahlen..."), hatten wir die Konditionen schnell geklärt; dazu gehörte auch - das Internet war noch nicht so verbreitet wie heute -, daß ich die Diskette mit meinen Beiträgen am besten „immer zur Jebenstraße" bringe. Dort saß in einem versifften Kleinbus der damalige Redakteur. In der Jebenstraße war er nicht Redakteur, sondern Vertriebsleiter, bei dem die Verkäufer die Zeitungen abholten und abrechneten. Wenn sie nicht gerade mal wieder mit den Einnahmen durchbrannten. Ich ging also alle vierzehn Tage mit meiner Diskette in diese Stricherstraße am Bahnhof Zoo. Und wenn das Wetter schlecht war - ich glaube, es war zu der Zeit immer schlecht...-, saßen in dem klebrigen und stinkenden Vehikel nicht nur der Redakteurvertriebsleiter und die, die gerade abrechnen wollten, sondern außerdem ein halbes Dutzend Unbehauste, die sich aufwärmten, einen Kaffee tranken, rauchten. Jene, die heute schon erfolgreich verkauft hatten, erkannte man gelegentlich daran, daß sie im Gegendatz zu anderen ihre Dröhnung schon intus hatten.

Der Kollege Redakteur steckte meine Diskette ein und las den Ausdruck. Wie in Redaktionen üblich. Und dann - Gott, wie peinlich! - griff er in einen Pappkarton und zählte mir das Honorar für den zuletzt erschienenen Beitrag Münze für Münze auf die Hand. Unter den Augen der anderen, mitleidlos. Ich konnte alle vierzehn Tage meine Geniertheit einigermaßen überspielen, indem ich immer eine Handvoll Geldstücke in die sogenannte Knastkasse tat. Die Knastkasse war eine zur Spardose umfunktionierte Konservenbüchse, das dort gehortete Geld eine Art Solidaritätsfonds für jene „Straßenfeger"-Verkäufer, mit denen das Gesetz haderte.

Inzwischen sind wir zu bargeldlosem Verfahren übergegangen. Spannend wäre allerdings zu wissen, unter welchem Haushaltstitel sich bei großen, un-alternativen Zeitungen die Knastkasse verbirgt. Denn daß auch sie eine derartige Rücklage benötigen, dürfte unstrittig sein.

Wolfgang Sabath ist freier Journalist und hat seine Erfahrungen in zahlreichen alternativen Zeitungen gesammelt. Er war Redakteur der DDR-Wochenzeitschrift „Sonntag"und des späteren „Freitag", schreibt u.a. für „Strassenzeitung", „Utopie kreativ""und ist Redakteur des „Blättchen".

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