Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
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Von der Schwierigkeit, ein deutscher Dichter zu werden

Arbeitsemigranten, Migranten und die „andere" deutsche Literatur

Von einer „Gastarbeiterliteratur" kann heute wohl kaum noch gesprochen werden, spricht man von Migrantenliteratur, hebt man einen soziologischen Aspekt hervor, der den ästhetischen zu verdecken droht, die Qualitäten, die entstehen können, wenn sich jemand der deutschen Sprache bedient, der eine andere Muttersprache hat. Der Schriftsteller Franco Biondi, 1965 als Arbeitsemigrant aus Süditalien in die Bundesrepublik gekommen, meint, dass diese Autoren die deutsche Sprache „durch bestimmte Formulierungen, bestimmte Überschreitungen der deutschen Regeln, bestimmte Metaphern" bereichern. Yoko Tawada, Japanerin in Hamburg, schreibt: „In der Muttersprache sind die Worte den Menschen angeheftet, so dass man selten spielerische Freude an der Sprache empfinden kann. Dort klammern sich die Gedanken so fest an die Worte, dass weder die ersteren noch die letzteren frei fliegen können."

Lange Zeit führte diese Literatur ein Nischendasein. Ein wichtiges Signal zu ihrer Anerkennung erfolgte 1985, als die Bayerische Akademie der Schönen Künste erstmals den Adelbert von Chamisso-Preis für „deutsche Autoren mit nichtdeutscher Muttersprache" verlieh. Der Namensgeber ist gut gewählt, denn Chamisso, der Franzose, der ein deutscher Romantiker wurde, konnte von sich sagen: „Ich bin fast ein deutscher Dichter." In jüngster Zeit nun beginnen auch die grossen Verlage, diese „andere" deutsche Literatur zu entdecken, die ja wirklich meist interessanter ist als die der jungen braven deutschen Debutanten, der Judith Hermanns und der Jochen Schmidts.

Ilija Trojanow, der polyglotte Bulgare, der viele Jahre in Deutschland gelebt hat und heute in Indien ansässig ist, hat eine Anthologie mit dem hässlichen Titel Döner in Walhalla herausgegeben. In seiner Einleitung beschreibt er die Schwierigkeiten, als „deutscher Schriftsteller" anerkannt zu werden. In Indien nehme man ihn als Repräsentanten deutscher Kultur wahr, während er in Deutschland nach jeder Lesung gefragt werde, wieso er so gut Deutsch könne. Es scheint sich hier um ein sehr deutsches Problem zu handeln: Einerseits ist es für jeden halbwegs aufgeklärten Deutschen natürlich befremdlich, wenn es für einen Ausländer das höchste Ziel ist, so deutsch wie nur möglich zu sein, geradezu bizarr, wenn etwa der Kroate Marian Nakitsch (man beachte den eingedeutschten Namen) in seinem Gedicht „Preussen, meine Trauer" schreibt: in meinen Träumen / bin ich ein blonder Preusse". Andererseits schlägt den Autoren nichtdeutscher Muttersprache eben doch ein besonders grosses Misstrauen entgegen. Zweifellos ist es einfacher, ein englischsprachiger Schriftsteller zu sein.

Ästetische Inovation

„Wenn man als ausländischer Schriftsteller auf deutsch schreibt, führt man einen ständigen Kampf mit der deutschen Sprache", schreibt Carmine Chiellino, „der Kampf mit ihr macht sie zu einer gebrochenen Sprache, sie wird zum Bild eines fremden Alltags." Die Distanz zur Sprache, der nicht selbstverständliche Umgang mit ihr, kann so zu ästhetischen Innovationen führen. So hat etwa der seit den sechziger Jahren in Leipzig lebende Syrer Adel Karasholi arabische Dichtung und europäische Moderne in einen fruchtbaren Dialog gebracht. So hat der in Kiel lebende Türke Feridun Zaimoglu das Genre der dokumentarischen Literatur neu belebt und in seinen Büchern Kanak Sprak und Abschaum das Kauderwelsch und den Verbalradikalismus von deklassierten türkischen Jugendlichen transkribiert. Ob er damit seinen politischen Anspruch einlöst oder doch nur eine reizvolle Kulturware produziert, die ja heute viele aus dem Ghetto, und sei es dem Kieler, geliefert haben wollen, sei dahingestellt.

Kein homogenes Feld

Der Blick von außen auf die deutsche Sprache ist keineswegs eine Erfahrung, die nur „Ausländer" machen. Dergleichen ereignet sich auch mitten in der „deutschen" Literatur. Friedrich Dürrenmatt, Büchner- und nicht Chamisso-Preisträger, dessen Muttersprache der Berner Dialekt war, hat darauf hingewiesen, dass er sich die deutsche Hochsprache quasi als eine Fremdsprache aneignen musste und dass davon sein Schreiben geprägt sei. Wo also eine Grenze ziehen? Eine in Deutschland entstehende Migrantenliteratur ist als auch nur einigermaßen homogenes Feld im Ernst nicht beschreibbar. Neben Vertretern der Arbeitsemigration wie Franco Biondi oder Giorgos Krommidas, die sich auch in ihren Texten mit diesem biographischen Hintergrund befassen, schreiben heute Autorinnen wie Yoko Tawada oder Zsuzsanna Gahse, eine in Wien aufgewachsene Ungarin, deren Literatur zwar von Zweisprachigkeit geprägt ist, die man mit soziologischen Kategorien aber nicht mehr fassen kann. Freilich werden sie alle in dieselben Migranten-Anthologien gepackt. Noch gar nicht angesprochen ist damit das weite Feld der in Deutschland entstehenden, von deutschen Erfahrungen geprägten fremdsprachigen Literatur. Die deutsch-polnische Anthologie Geschrieben in Deutschland dokumentiert, wie reichhaltig auch diese Literatur ist. Dazu kommen Autoren wie György Dalos, der zwar auf Ungarisch schreibt, seine Bücher aber direkt für den deutschen Markt konzipiert, wo sie dann in Erstausgabe erscheinen.

Es gibt aber auch Bücher wie den Roman von Giorgos Krommidas, denen man unrecht täte, wollte man sie nach rein ästhetischen Kriterien beurteilen, die bewegende Dokumente von Exil- und Migrationserfahrungen sind und deshalb Interesse beanspruchen dürfen. Und es gibt bemerkenswerte Autorinnen wie Yoko Tawada oder die verstorbene Libuse Monikova, die diesen Rahmen für ihre Texte gar nicht benötigen. Was alle diese Schriftsteller aber weiterhin einen wird, sind Erfahrungen wie die des Ungarn László Csiba, der nach langen Jahren in Halle in einem Tabakladen wieder einmal zu hören bekam: „Sie sind nicht von hier, was?" Er hat die Begebenheit in einem Gedicht verarbeitet.
Florian Neuner

Ilija Trojanow (Hg.): Döner in Walhalla. Texte aus der anderen deutschen Literatur. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000. DM 38

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