Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
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Der Kommunismus und der Vodka haben uns zerfressen

Deutsche Spatzen in polnischen Ohren: Polnische Literatur aus Deutschland

Wenn die polnische Literatur unter dem Motto „© POLAND" nun auf der Buchmesse in Frankfurt im Rampenlicht steht, wenn dort die Nobelpreisträger Wislawa Szymborska und Czeslaw Milosz ihren großen Auftritt haben, dann werden sie nur am Rande vorkommen: die in Deutschland lebenden polnischen Autoren. Dabei gibt es hierzulande eine durchaus lebendige polnische Literaturszene, nicht nur international prominente Autoren wie Ryszard Kapuscinski, die als Stipendiaten des Berliner Künstlerprogramms des DAAD für ein paar Monate in die Hauptstadt kommen, sondern auch Leute wie den Erzähler und Essayisten Dariusz Muszer aus Hannover, der sich als Dachdecker und Taxifahrer durchschlagen mußte, als er in den achtziger Jahren nach Deutschland kam.

Onkel im Exil

Die Polen bilden in Berlin mittlerweile die zweitgrößte Einwanderergruppe, schon vor zwanzig Jahren gab es eine große Auswanderungswelle nach Westeuropa, die sogenannte „Solidarnosc-Emigration". So können die Herausgeber Piotr Piaszczynski und Krysztof Maria Zaluski in ihrer zweisprachigen Anthologie Napisane w Niemczech/Geschrieben in Deutschland immerhin elf Lyriker und sechs Prosaisten vorstellen, die in Deutschland Literatur in polnischer Sprache produzieren. Die meisten sind um 1960 geboren und zählen also zur Solidarnosc-Generation. Unter ihnen Autoren wie die in Hamburg lebende Natasza Goerke, die hierzulande schon eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt hat (in diesem Herbst erscheint von ihr bei Rospo in Hamburg Abschied vom Plasma) oder Artur Szlosarek, wohnhaft in Berlin und in Polen, ein vielbeachteter Lyriker. Krysztof Maria Zaluski, geboren in Gdansk, Mitherausgeber der deutsch-polnischen Anthologie, wiederum ist in den beiden Ländern mit ganz unterschiedlichen Büchern präsent. In Polen erschien von ihm letztes Jahr der Roman Szpital Polonia, in dem Zaluski in eindrücklichen Bildern die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der Ende der achtziger Jahre ins englische Exil geht. In London lebt sein alter Onkel, der ihn beschwört, doch unbedingt wieder nach Polen zurückzugehen: „Die Emigration ist das allerschlimmste, was einem jungen Mann wie dir zustoßen kann", warnt ihn der alte Mann vergeblich, „Du wirst dein Leben ruinieren. Dieses System wurde geschaffen von reichen Menschen für ... reiche Menschen. Solche wie du haben hier keine Chance." Der Romanauszug, aus dem ich zitiere, findet sich in der Anthologie Geschrieben in Deutschland. Auf Deutsch hingegen gibt es von Zaluski ein Bodensee-Triptychon. Mit beißendem Humor greift Zaluski deutsch-polnische Klischee auf, erzählt vom Leben der polnischen „Aussiedler" im Südwesten, die sich einen bescheidenen sozialen Aufstieg erarbeiten: Am Ende muß man sich nicht mehr mit Kleidern vom Roten Kreuz begnügen und kann im Versandhaus einkaufen. Möbel besorgt man sich beim Sperrmüll, aber auch das wird immer schwieriger: „Jetzt gibt es beim Sperrmüll nur noch Gerümpel, weil zu viele Polen und Asylanten nach Deutschland gekommen sind." Die Wende schließlich bringt die polnische Familie an der Schweizer Grenze vollends aus der Fassung. Der Großvater kann nicht verstehen, warum man die „DDRler" in den Westen einreisen läßt, anstatt auf sie zu schießen. Die Angst um den eigenen kleinen Wohlstand führt zu einer verdrehten Form von „Ausländerfeindlichkeit".

Nach dem Ende des „Kalten Krieges" gibt es kein Dissidenten-Pathos mehr, kein Exil mehr im Westen aus politischen Gründen. Aber auch jene, die häufig als „Wirtschaftsflüchtlinge" denunziert werden, machen ihre eigenen Migrationserfahrungen. So dichtet etwa der 1980 geborene, 1994 „aus dem katholischen Osten/ins Zentrum des Geldes", nach Hessen gezogene Piotr Roguski nicht ohne Pathos: „Was mache ich hier / auf dem fremden Boden / fern von den Hütten den Meinen der Heimat / wo selbst der Spatz / irgendwie anders / tönt schallt das polnische Ohr / verletzt". Keineswegs aber läßt sich die auf deutschem Boden entstehende polnische Literatur auf ein Abarbeiten der Exil- und Migrationserfahrung reduzieren. Eine Autorin wie Natasza Goerke hat andere Themen, auch Lyriker wie Artur Szlosarek oder Lopez Mausere (alias Wojciech Stamm), der in Berlin außerdem Vorsitzender eines Vereins polnischer Versager ist.

Die größeren Säufer

Als die Anthologie kürzlich im südost Zentrum in Kreuzberg vorgestellt wurde, wurde dem Publikum zu Beginn Vodka gereicht. Die Klischee leben. Es wurde ein langer Abend, an dem es nicht nur um Literatur ging, sondern auch um die Frage, ob Polen oder Deutsche die größeren Säufer seien. Geklärt werden konnte das abschließend nicht, muß aber wohl zumindest auf Kreuzberger Territorium als unentschieden gelten. Wie auch immer: Ein polnischer Schriftsteller zu sein, so schreiben die Herausgeber der Anthologie, sei ein besonders zweifelhaftes Vergnügen. Ihre Hoffnung, die Literatur der in Deutschland lebenden Polen könne einmal als „autonomer Teil" der deutschen Literatur rezipiert werden, wird sich kaum erfüllen, denn nicht ohne gute Gründe sortiert Literatur sich nach der Sprache, in der sie verfasst wird. Mehr Beachtung hätten die hier lebenden polnischen Literaten aber zweifellos verdient.

Florian Neuner

Piotr Piaszczynski und Krysztof Maria Zaluski (Hg.): Napisane w Niemczech. Geschrieben in Deutschland. b 1 e.V. und IGNIS e.V., Jestetten und Köln 2000. DM 18.

Krysztof Maria Zaluski: Bodensee-Triptychon (aus dem Polnischen von Agnieszka Grzybkowska und Henryk Bereska). Verlag Gabriele Schäfer, Herne 2000. DM 29.

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