Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
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Neurosen-Hotel

Mit „New Rose Hotel" verfilmt Ferrara wenig gelungen William Gibson

Das „New Rose Hotel", das ist eine dieser legendären japanischen Konstruktionen aus länglichen, an Särge erinnernden Wohnzellen ohne Platz zum Stehen, in denen man sich auf billigste und anonymste Weise aus welcher Affäre auch immer ziehen kann. X hat allen Grund, sich dort einzumieten und auf Tauchstation zu bleiben. Er wird gesucht, gejagt von den Schergen von MAAS, einem Megakonzern, der sich jenseits aller Machtrestriktionen bewegt. Nur austricksen kann man Gegner wie diesen, und ausgetrickst haben sie ihn, X, Fox und Sandii. Jetzt muss X dafür bezahlen. Fox hat das schon hinter sich, und Sandii, tja, Sandii existiert im Moment nur in Xs Erinnerungen, die mehr und mehr Raum einnehmen, während er in diesem Käfig aus Plastik wartet, sich betrinkt, träumt, sich wieder erinnert.

Abel Ferrara hat sich dieser Erzählung William Gibsons angenommen. Eine eigenartige Konstellation - Ferrara, der sich nicht gerade durch die Special Effects seiner Filme bekannt wurde, und Gibson, der Vater des Cyberpunk, Autor kühler, cooler Geschichten über Ultra-Hochtechnologie und transnationale Kapitalgiganten, Biotechnologie, Supercomputer und kleine elektronische Zauberwerkzeuge. Dazwischen irgendwo befinden sich bei Gibson die Menschen, oft käufliche Söldner für die eine oder andere Industriespionage oder Abwerbeaktion von Elitewissenschaftlern.

In Ferraras Version des „New Rose Hotel"steht das Menschliche in dieser High-Tech-Welt im Zentrum. Menschliches, das heißt hier vor allem die Anfälligkeit seiner Akteure für Schwächen, Fehler und Laster, aber auch für Liebe und Treue bis in den Tod. Die Prostituierte Sandii (Asia Argento) wird von Fox und X angeworben, um den Weltklasse-Biologen Hiroshi via Liebesaffäre seinem Konzern abspenstig zu machen und an einen anderen Biotech-Player zu verkaufen. Während Fox (Christopher Walken) den Part des von Ehrgeiz getriebenen Routiniers gibt, agiert X (Willem Dafoe) meist besonnen und mit einem Blick, der eine große Verletzlichkeit hinter der Fassade des versierten Industriespions andeutet. Überhaupt, ein wenig wirkt dieses Duo wie Don Quichote und sein treuer Knappe - eine Analogie, die spätestens greift, als die beiden herausfinden, dass sie weniger die Fadenzieher sind als selbst Figuren in einem weit größeren Spiel.

Sicher, man sollte einen Film nicht an seiner literarischen Vorlage messen, doch nur im Kontrast wird hier deutlich, worum es Ferrara in dieser Geschichte gehen könnte. Aus einer fein gestrickten Erzählung macht er eine Bühne für ein von der Regie im Stich gelassenes Gerede über richtiges und falsches Handeln. Bilder von geringer Suggestionskraft wiederholen sich. Es gibt im Kino wahrhaft kraftvolle Erzählungen über Moral, die mit allen verfügbaren filmischen Mitteln zeigen, erzählen, dramatisieren - Ferraras "Bad Lieutenant" ist eine davon. "New Rose Hotel" fühlt sich dagegen an wie das bare Gerippe einer moralische Reflexion, ohne interessante Ausschmückungen, flach, fleischlos. Symptomatisch hierfür ist sein Ansatz, Xs Phase der Erinnerung ins letzte Viertel des Films zu verlagern und erst in der zähen Wiederholung entscheidender Szenen anzudeuten, dass sich alles auch anders ereignet haben könnte. Doch das bleibt Gegenstand für Spekulationen, zu denen der Film nicht reizt.

Markus Sailer

New Rose Hotel. USA 1998. Regie: Abel Ferrara; Darsteller: Asia Argento, Christopher Walken, Willem Dafoe u.a.

Kinostart: 19.10. im Eiszeit

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