Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
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Der Kampf um die virtuellen Schürfrechte

Unabhängige Kandidaten triumphierten bieder Wahl zur „Internetregierung" ICANN. Ein Besuch bei der Berliner Netzkritikerin Jeanette Hofmann während ihres Wahlkampfes

Zur Wahl ins ICANN-Direktorium hat es für Jeanette Hofmann zwar nicht ganz gereicht - Andy Müller-Maguhn vom Hamburger Chaos Computer Club (CCC) wird den Direktorensitz für die europäische Sektion einnehmen. Die Berliner Politologin erreichte Platz zwei bei der bislang größten Internetwahl, deren „Wahllokale" am 11. Oktober schlossen. Kein Grund zur Trauer: die beiden unabhängigen Netzkritiker verwiesen die fünf wirtschaftsnahen Kandidaten von ICANN deutlich auf die Plätze und verbuchten einen Punktsieg für die Netzbürger im Kampf um die virtuellen Schürfrechte.

Denn wer im „Lande Internet" nach Bodenschätzen sucht, braucht nicht die Transatlantikkabel auszubuddeln. Wertvoll wie bares Gold ist der Namensraum des Netzes - die Begriffe unserer Sprache, umgewandelt in profitable Netzadressen. Ob etwa der Domainname www.scheinschlag.ztg zulässig wäre, entscheidet ICANN, (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) die sogenannte „Weltregierung des Internet". Das private US-Institut koordiniert die Vergabe von Domain-Namen und Internetadressen, sie bestimmt also über Schürfrechte, über Claims, über Gewinnchancen. Über all dem thront die US-Regierung, die sich ein Kontrollrecht vorbehalten hat, auch über den sogenannten Root-Server A, das „Allerheiligste" des Internet. Dort werden die Stammdaten der Domain-Namen registriert. Nun ließ ICANN erstmals einen Teil seines Direktoriums vom Internetvolk wählen, es war die bislang größte Veranstaltung mit demokratischem Anspruch im Netz. 76000 Netzbürger gaben bis Dienstag weltweit ihre Voten ab, rund 11000 Europäer nahmen teil. Auf den Europa-Sieger Müller-Maguhn entfielen knapp 6000 Stimmen, die Politologin Hofmann erhielt rund 2300 virtuelle Kreuze. Drei Viertel der Stimmen gingen somit an die „Unabhängigen" - ein klares Indiz für eine erstmalig breite Politisierung der Netzbürger.

„Die Verwaltung der Domainnamen ist ein hochpolitischer Akt." Das ist Hofmanns zentrale Botschaft. Auf ihrem Bildschirm tickern in diesen Wochen die E-Mails im Sekundentakt ein, von Mitstreitern, Diskutanten und, was sie immer noch erstaunt, von Journalisten aus aller Welt. Hofmann hatte sich selbst nominiert, sie war eine „At-Large"-Kandidatin, das bedeutet: eine Bewerberin aus den Reihen des Internet-Volkes. ICANN selbst hat ebenfalls Kandidaten aufgestellt, und deren Privileg, sich nicht wie die „At-Large"-Leute einer Vorwahl mit 2% - Hürde stellen zu müssen, deutet bereits auf die demokratische Schieflage der Veranstaltung hin. ICANN habe auf eine kleine Wahl unter Experten spekuliert, so Hofmann, doch das Gegenteil sei eingetreten, und zwar ein großer Öffentlichkeitseffekt - nicht zuletzt durch eine Kampagne deutscher Online-Medien. „Für mich ist das wie ein Coming-Out im Moment, dass mein Thema endlich Bedeutung gewinnt." Obwohl der Wahlmodus die unabhängigen Kandidaten diskriminierte, obwohl ICANN kurzfristig die Zahl der wählbaren Direktoren von neun auf fünf beschnitt, obwohl die Organisation die freien Kandidaturen in keiner Weise unterstützte - wollten 158000 Internetnutzer als Wähler registriert werden. Nur die Hälfte schaffte es - wegen technischer Probleme bei der Melde-Software von ICANN. „Natürlich ärgere ich mich über das undemokratische Wahlverfahren, aber trotzdem - die Wirkung der Wahl ist demokratisierend", meint Hofmann.

Die am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) tätige promovierte Politologin ist eine echte Netzveteranin. Seit 1992 „online", bevorzugte sie aber bis zum Sommer diesen Jahres die Beobachterposition. Sie forschte und publizierte zu Technologiepolitik, zur Netzkultur und befasst sich seit Jahren intensiv mit der Institutionalisierung der Netzverwaltung - natürlich auch mit ICANN. Der Rollenwechsel zur Politikerin sei ihr jedoch nicht schwer gefallen. Sie verweist auf ihre Biographie: Hausbesetzerszene im Westberlin der 80er Jahre, später Technologiepolitik, damals unter Mompers rot-grünem Senat. „Zwei Seelen wohnen eben in meiner Brust. Die der aufrechten Demokratin, die kämpft, wenn es die Sache wert ist, und die derjenigen, die andere gerne beim Kämpfen beobachtet." Sie meldete sich zur Kandidatur, als klar wurde, dass ICANN das basisdemokratische Potenzial der Wahl in keiner Weise fördern wollte. Im Gegensatz etwa zu Müller-Maguhn mit dem CCC oder gar dem Telekom-Manager Winfried Schüller, einem ICANN-Kandidaten, hatte sie dabei keine schlagkräftige Organisation im Rücken.

Ist ICANN denn tatsächlich die „Regierung des Internets"? An Hofmanns Bürowand hängt das Foto einer klassischen „Regierenden", der Gesundheitsministerin Andrea Fischer. „Meine beste Freundin", erzählt die Forscherin, man kennt sich aus Zeiten Westberliner Inselpolitik. Nein, Hofmann spricht nicht gerne von „Internetregierung". „In Deutschland verbinden die Leute damit vor allem Inhaltskontrolle. Doch für Maßnahmen gegen Kinderpornografie und Rechtsradikalismus im Netz ist ICANN nicht zuständig." Stattdessen betont sie immer wieder die politische Dimension der Verteilungskämpfe im Namensraum. Sie illustriert das Problem - ausgerechnet am Beispiel „Sendung mit der Maus": Man stelle sich vor, so Hofmann, der Westdeutsche Rundfunk lasse das Wort „Maus" mit allen Kombinationen schützen, und wer dagegen verstößt, bekommt Ärger mit dem Sender. Sperrgebiete im öffentlichen Sprachraum drohen. „Das betrifft die Kommunikationschancen aller Nutzer in Zukunft." Sie plädiert - wie auch Müller-Maguhn - für eine klare Kompetenzbegrenzung des ICANN-Direktoriums und für eine dezentrale Netz-Verwaltung. Förderalismus statt Zentralismus. Doch ICANN profiliert sich bereits als Richter über Sein oder Nichtsein im Netz - unter starkem Einfluss von Konzerninteressen. So musste, wer sich kürzlich für eine der neuen Top-Level-Domains (TLDs) - die streng limitierten Endkürzel der Adressen wie .net oder .org - bewarb, ein Antragsgebühr von 50000 Dollar bezahlen. Unmöglich für den Otto-Normal-Surfer. Jeanette Hofmann kämpferisch: „Ich hoffe, dass mit einigen kritischen Köpfen im Direktorium manche Entscheidungen einfach nicht mehr möglich sind".

Klemens Vogel

http://www.icann.org

http://members.icann.org

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