Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
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Lesen im Knast

Berliner Verein versorgt seit 15 Jahren Gefangene mit Zeitungen

Menschen sind im Knast von der Außenwelt weitgehend isoliert. Für den Bezug von Zeitungen und Zeitschriften gibt der Gesetzgeber eine prinzipielle Erlaubnis (¤ 68 des Strafvollzugsgesetzes). Trotzdem ist der Bezug von Printmedien in Gefängnissen schwierig, denn es besteht eine Festlegung auf den Abonnementbezug direkt vom Verlag. Da die Häftlinge kaum Geld zur Verfügung haben, ist Unterstützung durch Dritte in der Regel notwendig.

Genau diese Arbeit leistet der Verein "Freiabonnements für Gefangene e.V.", der im September 1985 auf Initiative einiger Leute aus dem Umfeld der "taz" gegründet wurde. Er vermittelt bundesweit durch Spenden finanzierte kostenlose Zeitungs- und Zeitschriftenabos für Inhaftierte.

Was mit den "Knastabos" der taz begann, umfasst inzwischen über 30 deutsche und fremdsprachige Zeitungstitel, die regelmäßig an 3121 Gefangene ausgeliefert werden. Auf der Warteliste stehen momentan 1488 Inhaftierte. Jede Zeitung wird durchschnittlich von fünf Häftlingen gelesen. Die Gefangenen erfahren meist über Mundpropaganda oder durch Freunde und Bekannte von der Möglichkeit der kostenlosen Zeitungsbestellung. Eine offensive Werbung in den Haftanstalten findet nicht statt, denn "die Gefahr von Frust bei den Häftlingen ist aufgrund der langen Wartezeiten zu groß", sagt die Geschäftsführerin Sybill Knobloch.

"Der Verein möchte den Mangel an gutem Lesestoff in Haftanstalten beheben und leseinteressierten Menschen in Haft mit einem sinnvollen Angebot an Zeitungen und Zeitschriften helfen, den Weg zurück zur Gesellschaft zu finden", so die Selbstdarstellung. Dazu Frau Knobloch: "Die Gefangen dürfen nicht vergessen und nur weggesperrt werden. Sie sollen sich weiterbilden, mit der Welt auseinandersetzen und Perspektiven für ihre Zukunft entwickeln."

Sybill Knobloch muss zusammen mit ihrer Kollegin die oft schwierigen Verhandlungen mit den Verlagen über Freikontingente und Rabatte führen, sowie über Zeitungsanzeigen oder Briefe an die Spender herantreten. Manchmal gehen in den Gefängnissen Zeitungen auf dem Weg zu den Gefangenen verloren. Auch dieses Problem versuchen die Mitarbeiterinnen zu lösen. In Berlin liegt der Schwerpunkt der Arbeit in der JVA Tegel. Dort haben von den ca. 1500 Häftlingen 566 eine Zeitung abonniert.

In naher Zukunft wird es eine eigene Internetseite des Vereins geben. Die Homepage soll der Selbstdarstellung und dem besseren Kontakt zu Spendern, Interessierten sowie Gefangenen dienen. Für Inhaftierte sind Internet und E-Mail wichtige Möglichkeiten, um den Kontakt mit der Außenwelt zu verbessern. Dies zeigt das Internetprojekt der JVA Tegel.

"Freiabonnements für Gefangene e.V." braucht als Verein, der keine öffentlichen Zuschüsse erhält und sich zu 90 Prozent aus Spendengeldern finanziert, weiterhin jede Mark. Seine Arbeit ist bei bundesweit ca. 14 000 Gefangenen, die gerne eine Zeitung lesen würden, noch lange nicht zu Ende.

Jochen Mühlbauer

Freiabonnements für Gefangene e.V., Köpenicker Str. 175, 10997 Berlin
fon/fax 6112189, e-mail: freiabos@bln.de
Spenden: Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 10020500, Konto Nr. 3085400

Internetprojekt JVATegel: http://www.planet-tegel.de

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