Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
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Aktion direkt: Das Regensburger Rentenmodell

Die Straßburger Straße 40 als Goldgrube für die Neue Mitte

"Da wir die Aufforderung unserer Regierenden ernst nehmen, uns um unsere spätere Versorgung zu kümmern, nehmen wir schon jetzt ein solches Risiko auf uns." So begründet das Regensburger Betriebswirtschafts- und Jurastudentenpaar Peter Kreilinger und Karin Kodisch, warum sie das Haus Straßburger Straße 40 gekauft haben. "Im Gegenzug hoffen wir natürlich mittel- bis langfristig auf entsprechende Überschüsse", hieß es im März, kurz nachdem sie das Haus bei einer Zwangsversteigerung erworben haben, in einem Brief an die Mieter. Die jetzigen Bewohner scheinen allerdings nicht ins studentische Rentenmodell zu passen: Mit fadenscheinigen Begründungen werden reihenweise Kündigungen ausgesprochen.

Die Straßburger Straße 40 wurde vor drei Jahren mit öffentlicher Förderung saniert. Der Eigentümer ging pleite, die Studenten kauften das Haus auf einer Zwangsversteigerung zum Verkehrswert- offensichtlich ohne die Förderbedingungen zu kennen. In den günstigen Fördervertrag mit der Investitionsbank Berlin (IBB) traten sie nicht ein und verzichten somit auf die Mietzuschüsse der IBB. Dennoch beklagen Kreilinger und Kodisch sich bei den Mietern über die geringen Mieteinnahmen. Die Fördermiete von 6,50 DM/qm reiche zur Deckung der Kosten nicht aus, Mieterhöhungen an der oberen Grenze des rechtlich möglichen seien unumgänglich.

Zynisch-dreiste Eigennützigkeit

Doch die neuen Eigentümer haben eine Lösung für die Mieter parat: "Soweit Sie heute noch über Voraussetzungen verfügen, unter denen sie einen WBS erhalten, wäre zu überlegen, ob Sie nicht in aller Ruhe eine Wohnung suchen sollten, die auch die nächsten Jahre niedrige Fördermieten aufweist", schreiben sie, lassen dann aber die Katze aus dem Sack: "Sicherlich ist dieser Hinweis insofern eigennützig, als wir bei jeder Neuvermietung unsere Situation verbessern können."

Das eigentliche Kalkül von Kreilinger und Kodisch scheint zu sein, die Altmieter möglichst schnell loszuwerden, um teuer neu vermieten zu können. Wo "wohlmeinende Ratschläge" und angebotene (Dumping-)"Umzugskostenbeihilfen" von 3000 Mark nichts nützen, helfen sie mit fristlosen Kündigungen nach: Fünf der 20 Wohnungen wurden auf diese Weise schon geräumt. Andreas Peters (Name geändert) konnte die fristlose Kündigung seiner Wohnung abwehren. Ihm wurde eine ungenehmigte Untervermietung vorgeworfen, was Kreilinger an einer "Manipulation des Briefkastenschildes" erkannt haben will: Dort ist lediglich ein Name ergänzt worden.

Kreilinger und Kodisch berufen sich dabei auf frühere Abmahnungen, die sie reichlich und pauschal für alles mögliche aussprachen: Abstellen von Fahrrädern außerhalb der dafür vorgesehenen Plätze, Lagern von Gegenständen im Hausflur, unbefugtes Betreten des Daches, Sperrmüllablagerungen im Hof und "Schmierereien". "Es mag Ihnen vielleicht als provinziell erscheinen, dass für uns eine Störung des Hausfriedens nicht erst mit einer Messerstecherei beginnt", schreiben die Regensburger. "Sollten sich o.g. Verstöße aber wiederholen, so werden wir unverzüglich entsprechende Kündigungen aussprechen."

Vorteilsmitnahme: Zweitsanierung

"Das sind alles nur vorgeschobene Gründe", sagt Andreas Peters, "die wollen das Haus leerziehen." Dabei wird jeder vermeintliche Verstoß als Kündigungsgrund aufgenommen. Als sich der Schriftsteller Matthias Biskupek für drei Monate in Italien aufhielt, übergab er einem Freund den Wohnungsschlüssel, um die Blumen zu gießen und nach der Post zu sehen. Kreilinger und Kopisch vermuteten dahinter wiederum eine unerlaubte Untervermietung und kündigten Biskupek in Abwesenheit.

Gekündigt wurde auch einer Frau im Rollstuhl, ebenfalls wegen unerlaubter Untervermietung. Sie hatte ihren Lebensgefährten, der sie pflegte, in ihre Erdgeschosswohnung aufgenommen. Zuvor wurde der direkte Zugang von ihrer Wohnung zur Terrasse mit einem Gitter versperrt. Eine Woche nach dem Erhalt der Kündigung starb die Frau. Ihr Lebensgefährte bekam zwar von den Vermietern ein Beileidsschreiben, muss aber trotzdem in vier Wochen die Wohnung räumen.

Die leergezogenen Wohnungen werden ein weiteres Mal saniert: In einer der Dachgeschosswohnungen sind die Kacheln im Bad herausgerissen und durch Marmorkacheln ersetzt worden. "Die bauen sich das Haus zu einer kleinen Goldgrube um", meint Andreas Peters. Den eigentlichen Skandal sieht Peters aber darin, dass das Haus mit Steuergeldern in Millionenhöhe modernisiert und instandgesetzt wurde. Wenn sich unter den Hausbesitzern herumspricht, dass man sich so einfach aus den Förderverpflichtungen herausziehen kann, könnten sich spekulative Konkurse von Immobilienunternehmen bald häufen.

Jens Sethmann

Gegendarstellung

Diese Gegendarstellung geht über das hinaus, was wir nach dem Berliner Pressegesetz verpflichtet wären zu veröffentlichen. Wir veröffentlichen sie dennoch in voller Länge und ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts.

Die Redaktion.

Gegendarstellung – Ausgabe 9/2000 – Aktion direkt, das Regensburger Rentenmodell

1. Förderungsübernahme

Eine Übernahme der Förderung wäre für keinen Ersteher in Betracht gekommen. Die Förderung bestand zu 95 Prozent in einem verlorenen Baukostenzuschuss, mit dem Mietbindungen „erkauft“ wurden. Dieser Zuschuss wurde durch den Voreigentümer verbaut (Sanierungsbaukosten) und es wäre Aufgabe der Fördergeber gewesen, diesen „Vorschuss“ entsprechend abzusichern. Tatsächlich war das Objekt jedoch schon vor der Sanierung bei einer Frankfurter Geschäftsbank überschuldet und mit Grundschulden belastet, deren Anspruch im Versteigerungstermin (Nominale zzgl. dinglicher Zinsen) den Verkehrswert des sanierten Objektes überstieg. Schon vor Förderbeginn stand die Versteigerung des Objektes an (Versteigerungstermin durch AG Mitte bereits bestimmt). IBB und Bezirksamt mussten daher um die fehlende Absicherung der Förderinvestition wissen (keine Solvenz Voreigentümer, Überschuldung Grundstück). Dass dennoch eine hohe Förderung gewährt wurde, die faktisch durch nichts (bzw. durch wertlose nachrangige Grundschulden) besichert wurde, beschäftigt derzeit den Landesrechnungshof, der auf Hinweis der Ersteher tätig wurde. Vorwürfe sind an die IBB und die Sanierungsverwaltung zu richten, die im blinden Willen, die Summen und Fallzahlen der „sozialen Stadterneuerung“ zu erhöhen, unverantwortliche Kreditentscheidungen trafen. Die für die Ersteher einzig zur Übernahme in Betracht kommenden „Aufwendungszuschüsse“ dagegen erreichten nicht einmal 1 Prozent des Erwerbspreises. Der Verkehrswert im Versteigerungsverfahren war auf Basis einer preisfreien, ortsüblichen Miete ermittelt, nicht auf Basis der Fördermieten von DM 5m2. Die das Verfahren betreibende Geschäftsbank betrieb einen bestmöglichen Verkauf unter Wegfall jeder Einschränkung. Kein Ersteher hätte daher die bestehende Förderung übernehmen können. Er hätte sich für ein Butterbrot an Zuschüssen den Ertrag halbieren lassen, was von niemandem zu erwarten ist. In allen einschlägigen Zwangsversteigerungsverfahren der IBB dieser Förderart kommt es zu einem Wegfall der Förderung und ihrer Bindungen. Diese Form der Förderung dürfte daher nur gegen wertgesicherte Absicherung gewährt werden, was die Berliner Behörden pflichtwidrig und nachlässig unterlassen haben. Die IBB im übrigen lehnt mittlerweile in allen Fällen der Versteigerung geförderter Objekte eine Förderübernahme durch den Ersteher ab. Die Fallzahlen gehen weit in die hunderte.

2. Kündigungen

Es wurden zwei Wohnungen durch Kündigung geräumt, nicht fünf. Im ersten Fall lag nachweislich eine gewinnbringende Untervermietung an einen Dritten vor, der die Wohnung nie gemietet hatte. Im anderen Fall blieb die Mietzahlung aus, in der Wohnung wurde ein Motorrad gelagert, der Boden komplett zerstört und ein großes Loch in eine Wand geschlagen. Die Eigentümer halten ihr Vorgehen für selbstverständlich, das Verhalten der Mieter war kriminell (Sozialleistungsmissbrauch, Sachbeschädigung) und inakzeptabel.

3. Verstorbene Mieterin

Die betreffende Mieterin war schwer alkoholkrank und starb hieran (Leberriss). Dies ist insoweit von Relevanz, als dass der angebliche „Pfleger“ tatsächlich ebenso alkoholkrank war und gegen den Willen der Betreuerin der Mieterin und gegen den Willen seines Betreuers bei der Mieterin verweilte. Statt bzw. neben Zuneigung brachte er häufig Bier/Schnaps und beschimpfte nach Beschwerden von Mitmietern und eigenem Erleben der Eigentümer in seinem zumeist alkoholisierten Zustand die Mieterin auf das Schlimmste. Die neuen Eigentümer wurden von ihm im (wie gesagt überwiegend gegebenen) alkoholisierten Zustand körperlich bedroht. Zusammen mit Trinkbrüdern urinierte er des öfteren in den Sandkasten auf dem Hof, was die Ersteher selbst beobachteten. Zu der behaupteten „Pflege“ der Mieterin war der Mann zustandsbedingt in keiner Weise in der Lage. Nach dem Tod der Mieterin war der betreffende Bekannte in keiner Weise Mieter der Wohnung. Sein Betreuer wünschte auch ausdrücklich nicht, die Wohnung für ihn anzumieten. Niemand hätte die Miete bezahlt bzw. überhaupt einen Vertrag geschlossen. Dass aber jemand, der an einer Wohnung kein Mietrecht hat und auch kein Mietrecht erwerben will (bzw. wegen entgegenstehenden Betreuerwillens dies gar nicht kann), nicht länger als eine angemessene Zugfrist (vier Wochen) in der Wohnung bleiben kann, versteht sich von selbst. Die Eigentümer sind keine Fürsorgeeinrichtung, die kosten- und vertragslos Wohnraum zur Verfügung stellt. Sie hatten neben dem Mietausfall auch die Kosten einer Komplettrenovierung der Wohnung zu tragen, die doch erst drei Jahre zuvor komplett saniert worden war.

4. Schriftsteller

Der betreffende Schriftsteller hat die Wohnung nach Überzeugung der Eigentümer untervermietet. Von „Blumengießen“ kann keine Rede sein. Es handelte sich um eine selten genutzte Zweitwohnung, da er eigentlich ein Haus in Sachsen hat. Die Fragwürdigkeit der Berliner Förderpolitik (Sozialwohnungen als Zweitwohnung…) zeigt sich auch hier. Die Gefahr einer Untervermietung von Wohnungen, die ohne weitere Belegungskontrolle zu einem Bruchteil des Marktmietzinses vergeben werden, dürfte jedermann einleuchten. Dass im Haus gewinnbringend untervermietet wurde, kann bewiesen werden. Die neuen Eigentümer waren im Hinblick auf den vorliegenden Sozialleistungsmissbrauch in solchen Fällen sogar zum Einschreiten gezwungen.

5. „Manipulation am Klingelschild“

Es war ein neuer Name am Schild der WG an Klingel und Briefkasten angebracht und auch tatsächlich eine zusätzliche Person in die Wohnung aufgenommen worden. Dabei handelte es sich um die Lebensgefährtin/Frau eines der Mieter, was wegen des abweichenden Namens nicht zu erkennen war und nicht angekündigt/gemeldet wurde. Selbstverständlich ist dies zulässig und wurde nach Sachverhaltsaufklärung ohne Einschränkungen anerkannt. Die angemessene Mitteilung an den Vermieter über eine Änderung der Bewohner wäre schon im Hinblick auf die Pflichten des Vermieters im Rahmen des Meldegesetzes selbstverständlich gewesen und hätte Missverständnisse verhindert.

6. Spekulative Pleiten

Der ehem. Eigentümer haftet persönlich für alle im Zusammenhang mit dem Objekt aufgetretenen Schulden – insbesondere für eine vollständige Fördermittelrückzahlung. Einen „Gewinn“ hat er ganz sicher nicht erzielt. Die neuen Eigentümer haben mit dem Voreigentümer und seiner Pleite nichts zu tun, da sie das Objekt wie die meisten anderen Ersteher in der Zwangsversteigerung schlicht dem Zwangsversteigerungskatalog entnommen und im Hinblick auf das gerichtliche Gutachten erworben haben. Sie haben den Voreigentümer bis heute nie gesehen oder gesprochen. Die Unterstellung, irgendjemand habe bewusst auf eine Pleite hin spekuliert und dabei Gewinn erzielt, ist unsinnig.

Peter Kreilinger und Karin Kodisch
Regensburg, 28. Juli 2004

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