Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Alles verlegte findet sich wieder

10 Jahre Corvinus Presse

Begonnen hat alles im April 1990 mit einem Buch, das eigentlich schon 1934 hätte erscheinen sollen. Georg Zemkes Atmender Strom konnte aber im nationalsozialistischen Deutschland nicht mehr erscheinen und so musste Hendrik Liersch das Buch eben 56 Jahre später in seiner Corvinus Presse herausbringen. Die Wieder- und Neuentdeckung von Texten, das ist das Ziel, das hinter seiner Verlagsgründung vor zehn Jahren im Prenzlauer Berg stand. Denn die 100. bibliophile Ausgabe von Bachmann-Gedichten zu machen, dafür hat sich der Ein-Mann-Verlag niemals interessiert. Da bringt Liersch lieber Gedichte ihrer Freundin Christine Koschel heraus, die hierzulande zwar als Bachmann-Herausgeberin, kaum jedoch als Lyrikerin bekannt ist. Für diesen Herbst ist von Christine Koschel ein Band mit dem Titel Ein mikroskopisch feiner Riss angekündigt. Überhaupt: Was heißt bibliophil? Um Preziosen aus möglichst ausgesuchtem Papier geht es Hendrik Liersch jedenfalls nicht. Er druckt auf Packpapier, das er gerne in Osteuropa besorgt und auch schon mal auf griechische Obsttüten. Dabei ist es ihm in erster Linie darum zu tun, den Texten gerecht zu werden. Deshalb gibt es in der Corvinus Presse, auch innerhalb ihrer Reihen, keine festgelegten Formate. Für jedes Buch soll eine individuelle Lösung gefunden werden. So war es Liersch etwa im Fall von Edgar Allan Poes Raben wichtig, die langen Gedichtzeilen nicht brechen zu müssen, wie das in der Taschenbuchausgabe des Textes erfolgt war. Außerdem gesellt sich zu jedem Autor ein bildender Künstler. Sei es, dass eine Autorin wie Liljana Dirjan ihren Graphiker gleich selbst mitbringt, sei es, dass Liersch sich auf die Suche macht und dann z. B. Lutz Leibner auf einen Text von Tadeusz Rozewicz ansetzt.

Die Frage, wie er das finanziell überhaupt schaffe, ist Hendrik Liersch mittlerweile leid. Zehn Jahre Corvinus Presse und beinahe schon 100 Bücher sind jedenfalls der Beweis, dass es irgendwie geht. Über den Markt macht sich der Verleger, der in seine Bücher den Slogan "Bücher brauchen Buchpreisbindung!" druckt, keine Illusionen. Hauptsächlich das Mittelfeld leide in der derzeitigen Situation. Während auf der einen Seite die Konzentration voranschreite, belebe sich andererseits die Kleinverlagsszene. An Projekten, für die sich mit Ausnahme engagierter Kleinverleger heute niemand mehr interessiert, mangelt es nicht. Wo, außer in der Corvinus Presse, hätte ein Buch der mazedonischen Lyrikerin Liljana Dirjan erscheinen können? Manchmal profitiert Liersch auch direkt vom Desinteresse der Großen. Als der Hanser Verlag zum Polen-Schwerpunkt der diesjährigen Buchmesse einen Gedichtband von Tadeusz Rozewicz vorbereitete, wollte er das Langgedicht "Recycling" nicht haben. Liersch schlug zu und bringt es demnächst als Buch.

Verleger wird man wahrscheinlich, wenn man die Bücher, die man gerne lesen würde, nirgends findet. Hendrik Liersch macht keinen Hehl aus seinem sehr persönlichen Zugang zum Büchermachen, lässt sich auf keinerlei Programmatik festlegen. Das Programm der Corvinus Presse ist bunt und international. In der Reihe "Welt statt Berlin" finden sich etwa Bücher der aus Litauen stammenden Aldona Gustas, des Tschechen Josef Hruby oder der auf Deutsch schreibenden Griechin Ewa Boura. Eine andere Reihe, "corWIENus", bringt österreichische Autoren. Die Beschränkung auf kleine Formen, auf Lyrik, Aphoristik und Kurzprosa ergibt sich aus der handwerklichen Machart der Bücher. Hendrik Liersch sieht sich dabei in der Tradition des legendären V. O. Stomps, auf dessen Rabenpresse der Name Corvinus Presse bezug nimmt. Die 80 Jahre alte Druckerpresse, mit der er heute seine Bücher macht, steht an einem historischen Ort. In der Druckerei in der Kreuzberger Admiralstraße hat schon Stomps gearbeitet, dem der Corvinus-Pressen-Verleger einige Hommage-Bücher gewidmet hat.

Im Internet wird man die Corvinus Presse vergeblich suchen, ja, Hendrik Liersch hat nicht einmal ein aktuelles Verlagsprogramm zu verteilen. Die Interessierten, das weiß er, finden auch so zu seinen Büchern. "Bücher sind ewig, Zeitungen erscheinen täglich", davon ist Liersch überzeugt, der bewusst auf das "langsame" Medium Buch setzt, und: "Alles verlegte findet sich wieder." Wir dürfen also weiterhin gespannt sein.

Florian Neuner

Aus dem Herbstprogramm der Corvinus Presse:
Liljana Dirjan: Schwere Seide.
Gedichte (aus dem Mazedonischen von Sabine Fahl). 25 DM
Tadeusz Rozewicz: Recycling (aus dem Poln. von Henryk Bereska). 26 DM
Christine Koschel: Ein mikroskopisch feiner Riss. Gedichte. ca. 30 DM

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 09 - 2000