Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
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ICMC und Off-ICMC in Berlin

Im "Wettbewerb um das Veranstaltungsrecht konnte sich Berlin gegenüber starker Konkurrenz durchsetzen: Helsinki (Europäische Kulturhauptstadt 2000), Linz (Ars Electronica) und Warschau (Warschauer Herbst) u.a." konnten auf die Plätze verwiesen werden. (Pressetext) Berlin, Rom, Karthago, Helsinki und Linz.- Nun, die "International Computer Music Conference 2000" (ICMC 2000) verlief glücklicherweise bescheidener und, sieht man von einigen Hörschäden ab, auch friedlicher als die Ankündigung verhieß. Und mit Bejing (Vorjahr) und La Habanna (ICMC 2001) befand sich die "Spreemetropole" (Eigenwerbung) wieder einmal in guter Gesellschaft. Vom 27. August bis zum 2. September gab es eine internationale Konferenz in der Akademie der Künste und im Podewil: Eine Woche lang Vorträge, Demonstrationen, Posters, Panels, Studioberichte, Konzerte und Installationen.

Hatte die Akademie der Künste sich vor kurzem noch darauf beschränkt, ihren großen Namen jenem Zusammenhang bildender Künstler und Kuratoren zu leihen, der unter "Z 2000" firmierte, und die anfallenden Ausstellungen, Partys und Events sozusagen nur gehosted,- sie selbst stand nicht zur "ExhibiZion"- so gingen die Ausrichter der ICMC einen guten Schritt weiter. Ursprünglich mit den erzberüchtigten Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz am Start, hatte die ICMC sich, berlinadäquat, mit der Erfindung einer Off-ICMC sozusagen eine Kohabitation installiert. Man kennt den Begriff aus dem Politischen: er soll dort greifen, wo das Schema Regierung und Opposition nicht mehr greift; und Kohabitation ist wohl nicht völlig unangebracht, wenn eine internationale Post-Techno-Community an mehreren Tagen, jeweils Punkt 22 Uhr, Xennakis-Remixe zu Gehör bringt, und am vierten Tag ausnahmslos alle ICMC-Offiziellen mit kleinen Ohrstöpseln herumlaufen, die an der Kasse des Podewil für 50 Euro-Cent erhältlich sind.

Geradezu beschaulich dagegen das Eröffnungsprogramm der ICMC: In den Foyers der Philharmonie, des Kammermusiksaals und des Musikinstrumentenmuseums- eine weitläufige Einheit- wurde John Cages seltenes "HPSCHD" aufgeführt: eine Art begehbares Konzert für ein bis sieben HarPSiCHorDs, ein bis 51 Tonbänder und zwei bis 58 Lautsprecher. Auf der ICMC waren 7 Harpsichorde und 51 Bänder über die Foyers verteilt. Eine Erfahrung der Beiläufigkeit von Musik sowohl als der Notwendigkeit von Geräusch. Ein Auftakt nach Maß.

Überhaupt Geräusch: noise lautete das Zauberwort eines ersten Eindrucks; es hing über fünf Tage hinweg unsichtbar über dem Podewil, dem Veranstaltungsort der Off-ICMC, die ansonsten durch ein unglaublich dichtes Programm glänzte, wenn nicht blendete: Toru Yamanaka, Merzbow, Atomheart, Metaxu, Zbigniew Karkowski, i.d, Column One, Russel Haswel, Massimo, Peter Hollinger, Peter Rehberg, Kaffe Matthews, Atau Tanaka, Koji Marutani, Tetsuo Furodate, Ramon Bauer und Zeitblom allein an einem Abend.

Eine Strapaze, die sich jedoch nicht allein auf das Publikum beschränkt: Massimo etwa, der in vier, fünf Tagen fünf bis sieben Sets liefert; hier verliert das Festival an Kontur, verlieren sich die Positionen, verschwimmt das Potenzial, das sich zudem wie in einem Reservat bewegte: Warum nur die Trennung, die künstliche Parallele von ICMC und Off-ICMC, die weniger ästhetisch als einzig im Verhältnis zur Lautstärke unterschieden waren?

Und warum nur war der Set Atomhearts, wie bei allen anderen auch, auf eine halbe Stunde beschränkt? Ein wenig mehr und die Konferenz hätte getanzt- erst zwei Tage später konnte, wer irgend wollte, zu den famosen Kraftwerk-Replays des Senor Coconut das Tanzbein schwingen: Tour de France (Merengue). Die Roboter als Cha-Cha-Cha. Hybrid Latino Polka. Gelungenes Scherzo. Finale nach Maß.

i g wilms // klankton

http://www.icmc2000.org
(Wer bei der Eingabe dieser Adresse die "2000" vergisst, landet bei ziemlich christlichen Christen.)

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