Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
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Agenten des Peinlichen

Mit "The MaidenŐs Prayer" von Nicky Silver laviert die Vagantenbühne zwischen Psychohölle und postmodernem Biedermeier

Wie war das damals? Der Autor Nicky Silver kämpfte gerade mit den letzten Pubertätspickeln, Krieg der Sterne begeisterte die Massen und bedeutende Dialoge gingen so: "Ich liebe dich", hauchte Prinzessin Leia in Das Imperium schlägt zurück, und Han Solo erwiderte: "Ich weiß." Dann versank Han alias Harrison Ford, Prototyp aller Macho-Rebellen, im Stickstoffkühlschrank der Kopfgeldjäger. Richtig aufgetaut ist er seitdem nicht mehr. Inzwischen dreht George Lucas Star-Wars-Episoden ohne Han Solo, Nicky Silver hingegen schreibt Theaterstücke- und seine Dialoge, die gehen zum Beispiel so: "Ich liebe Dich", haucht Taylor, der jungenhafte Ehemann und seine Frau Cynthia erwidert mit kühlem Mitleid: "Ich weiß." Dann verlässt sie ihn.

Heldische Männer hat Silver in seiner Boulevardkomödie The MaidenÔs Prayer auf Eis gelegt. Im Stück des New Yorkers sind die Damen für die markanten Entgegnungen zuständig, sie dominieren diese urbane Beziehungsklamotte mit einschlägigem Personal: Da steht dem frischvermählten Romantiker Taylor (Oliver Mommsen)- einer Promenadenmischung aus Hughes Grant und Mehmet Scholl- der schwule Kumpel Paul (Frank-Lorenz Engel) zur Seite, die Stimme der sanften Vernunft. Der bewegte Mann lässt grüßen. Zwei Schwestern halten die Jugendfreunde auf Trab, das Nervenbündel Libby (Eva Mannschott) und Cynthia, die Prinzessin, die ewige Siegerin (Katharina Lehmann). Nun ist es so: Cynthia hat Taylor aus dem Suff gezogen und der liebt jetzt die Schöne abgöttisch. Doch Libby liebt wiederum Taylor, hasst jedoch Cynthia und heult sich bei Paul aus, der vor allem das Beste für Taylor will. Die frustrierte Libby flüchtet in anonymen Sex und entdeckt dabei ihr Faible für die Prostitution.

Wo soll das alles hinführen? Wenn in Silvers Instant-Ego-Gesellschaft noch eine Idee, ein Weltgeist gar im verborgenen Regie führt, dann als Agent des Peinlichen. Peinlichkeit ist der Fluchtpunkt der Szenen, den vor allem Libby konsequent anpeilt, ob sie nun auf Cynthias Hochzeit hysterisch ihre Liebe zu Taylor bekundet oder Paul nachts heimsucht, um ihre Hyperneurosen zu diskutieren. Sie ist notorisch unhöflich, was die anderen peinlich berührt- was wiederum äußerst peinlich wirkt: Wenn etwa Cynthia therapeutisch, bevormundend und herablassend auf die Schwester einredet, und so die Situation noch mehr verkeilt. In leisen Momenten ist das schräg im Stil von Todd SolondzŐs Happiness, manche Passagen wirken jedoch postmodern-bieder wie ein Start-Up des Ohnsorg-Theaters.

Rätselhaft bleibt Cynthia, die starke Figur in dieser Inszenierung von Folke Braband. Sie manipuliert mit ihrem Charme, sie ist eloquent und berechnend- und sie verliert ihr Kind. Nach der Frühgeburt distanziert sie sich von Taylor, verschwindet aus dem trauten Heim und taucht unter- ausgerechnet bei Libby. Ist sie nun Strippenzieherin oder einsam Leidende? Von Paul zur Rede gestellt, lehnt sie die Rückkehr ab, ebenso jede Rechtfertigung. Taylor säuft wieder. Cynthia verschwindet zu ihrem Liebhaber, ihrem Gynäkologen, zu Dr. Boiler. Den anderen bleibt immerhin die Sentimentalität.

Klemens Vogel

The MaidenŐs Prayer von Nicky Silver an der Vagantenbühne, Kantstraße 12a; 29. und 30. 9., 2.-4. 10., 20 Uhr; fon 3124529

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