Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin 1900

21. September bis 18. Oktober

Das Waarenhaus Hermann Tietz öffnet am 23. September seine Räume einem zahlreich geladenen Publikum zur Vorbesichtigung. Das gewaltige Haus bietet mit seinen weiten Gängen und schönen breiten Treppenhäusern einen imposanten Anblick. Der Verkehr gleitet ohne Stocken und Drängen. Die Ausstattung wird durch die musterhaft dekorative Aufstellung der Waren vervollkommnet und belebt durch das zahlreiche Personal, das vollzählig auf seinem Posten steht. Oskar Tietz, der Inhaber des Hauses, zeigt in seiner Rede seinen weitschauenden Blick für die Bedürfnisse der Zeit. Die Conserve will er zum Volksnahrungsmittel heranreifen lassen und damit der Landwirtschaft ein nie geahntes Absatzgebiet erschließen, Kunst und Literatur in bisher unbekannter Weise jedem zugänglich machen.

Ein Rundgang durch das Etablissement schließt sich an. Kein Suchen ist nötig, alles liegt in großen Glaskästen jedem zugänglich da. Da alle Waren ausgezeichnet sind, lässt sich ein Überblick über die Preise bei Tietz gewinnen, der sehr günstig ausfällt. Das neue Zahlsystem, bei dem jeder Käufer an der Stelle zahlt, an der er kauft, findet volle Würdigung. Besonders praktisch ist die Abteilung für Eßwaaren eingerichtet; sie ist ein vollkommenes Eishaus. Die einzelnen Rayons werden dabei in selbständiger Verantwortlichkeit des Personals von Zahltürmen aus überwacht.

Die Herbstversteigerung der ausrangierten Marstallpferde findet am 25. September mittags unter großem Andrang Kauflustiger im Königlichen Marstall in der Dorotheenstraße statt. Trotz der großen Zahl der unter den Hammer kommenden Pferde werden recht hohe Preise erzielt. Das wohl bekannteste der versteigerten Tiere ist der Fuchswallach "Nordstern", den der Kaiser mit Vorliebe als Leibreitpferd benutzt hat. Das Pferd, das zur Zeit an einer Zungenbandverletzung leidet, geht für 24 Doppelkronen in anderen Besitz über. Die gleichfalls vom Kaiser gerittene englische Fuchsstute Mege Merrilies, ein starker Roarer, bringt 50 Doppelkronen. Im Viererzug des Kaisers ist der mit 20 Doppelkronen verkaufte Rapphengst Eckermann, der als Kehlkopfpfeifer ausrangiert ist. Im Kaiserlichen Stadtwagenpark sind die beiden Rapphengste Procrustes und Cornelius benutzt worden, die für 17 und 35 Doppelkronen losgeschlagen werden. 15 Doppelkronen werden für den Trakehner Rapp-hengst Tamburini bezahlt, der sehr stark an der Brustseuche gelitten hat.

Die erste Feldpacketpost nach China geht am Dienstag, den 2. Oktober, von Bremerhaven ab. Die Schlusszeit für die Annahme der Feldpostpackete bei der Sammelstelle für Feldpostpackete am Postamt 5 in Bremen findet 24 Stunden vorher statt. In Berlin sind demnach Feldpostpackete, die mit der erste Feldpacketpost nach Ostasien gehen sollen, allerspätestens am Sonntag, den 30. September, zur Post zu geben.

Beim Versenden von Flüssigkeitsproben mit der Briefpost im Verkehr mit Österreich-Ungarn muss das zur Verpackung verwendete Kästchen nicht mehr in ein zweites Behältnis eingeschlossen werden, wenn die Kästchen aus starker Wellpappe bestehen, bei der Vereinigung mehrerer Fläschchen zu einer Sendung jedes Fläschchen mit einer besonderen Umhüllung aus Wellpappe versehen ist, sämtliche Zwischenräume mit aufsaugenden Stoffen angefüllt und die Fläschchen mit sicherndem Verschluss versehen sind.

Eine neue Art von Fahrscheinen wird die Große Berliner Straßenbahn mit der Einführung des Zehnpfennigtarifs am 1. Oktober in Verkehr bringen. Die bisherige Größe und Form der Fahrscheine bleibt bestehen, dagegen wird nicht mehr wie bisher nur die Strecke angegeben, für die der Schein gelöst ist, sondern auch der Punkt, an dem der Fahrgast aufgestiegen ist. Ähnlich geschieht dies jetzt schon bei den Fahrscheinen der beiden Linien von Siemens u. Halske. Bei jeder der Zehnpfenniglinien werden die Hauptverkehrspunkte, also Rosenthaler Thor, Alexanderplatz, Spittelmarkt usw. in die Fahrscheine aufgenommen. Doch sollen auf den langen Strecken nicht mehr als fünf, bei den kurzen Linien nicht weniger als zwei Hauptverkehrspunkte aufgeführt werden. Für je drei Linien wird ein gemeinsamer Fahrschein ausgegeben, jedoch für Hin- wie Rückfahrt je ein besonderer Schein hergestellt.

Falko Hennig

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