Ausgabe 07 - 2000berliner stadtzeitung
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Vorausschauende Archäologie

Der Alexanderplatz aus der Sicht seiner Nutzer

"Common Place" nennt sich die Aktion, mit der die Künstlerin Folke Köbberling die Passanten dazu anregte, über den Alexanderplatz zu schlendern und ihre Gedanken über den heutigen Platz und seinen angekündigten Totalumbau zu Papier zu bringen. Die gesammelten Meinungsäußerungen kann man in Kürze bei der NGBK für 7 Mark beziehen oder über die E-Mail-Adresse Folke.Koebberling@t-online.de bestellen. Wir veröffentlichen vorab einige der Texte:

Samstag, 10. 6. 2000
Ich komme so alle 2 Tage zum Alex, seit ich ...Moment, seit ich fotografiere, im Osten wohne und mir keine vernünftigen Abzüge oder Diaentwicklungen leisten will. Ich gehe also zu Saturn, ein schrecklicher Laden. Aber ich mag den Berliner Zeitung-Mann, den Wurstmann und den, der in seiner Losbude eingezwängt ist. Ich mag nicht besonders das Haus. Das Saturn-Haus. Wäre ich nicht in diesem ewigen Entwicklungsgutscheine-Zyklus, wäre ich nicht so oft hier, fast nie. Ich habe keine Freunde hier. Schon, zur Zeit im Haus des Lehrers neuerdings, manchmal, aber auf dem Platz nicht. Ich bleibe nie hier stehen, nicht mal für die Kunst im U-Bahnhof. Ich hänge an keinem Haus im speziellen, es sei denn man nennt den Turm ein Haus. Für den hatte ich lang einen ganz speziellen Faible. Der Turm, ja... Ich mag das Rote Rathaus nicht und die Kirche gegenüber, jetzt schon, mit der Flasche drauf, aber sonst. Die anderen Häuser finde ich zusammen gut, nicht einzeln. Wie sie mit den Straßen aus dem Alex diese Insel zum Umsteigen und Filme entwickeln und Losbudenkisten machen. Ich habe noch nie ein Los gekauft, will ich auch nicht. Ich will auch kein Probeabo der Berliner, eigentlich will ich, daß diese Typen hier rumsitzen und noch viel mehr. Ich will, daß hier ein guter Fischladen aufmacht und daß auf dem Haus gegenüber vom Lehrer wieder eine Leuchtwerbung ist. Ach ja, und ich habe eine persönliche Aversion gegen Hans Kollhoff, ich finde diesen jaguarfahrenden Architektur-Heino, der sicher... Ich stelle ihn mir privat einfach noch schlimmer vor, als was er für mich als Architekt verkörpert, nämlich eine Mischung aus Albert Speer, Mussolini und Claudia Schiffer. Der Wolf im Schafspelz. Soll der doch seine roten Backsteinkisten in Charlottenburg und Rudow bauen. Am Alex hat er und seines Gleichen nichts zu suchen. Der Alex ist für Würstchen-Verkäufer und murmelnde Losbuden. Ich hoffe, daß der Losbuden-Fritze gegen das neue Kino ankommt, auf jeden Fall ist seine Bude 1000x schöner. N.N.

Samstag, 10. 6. 2000

Ich liebe den Alexanderplatz. Er ist unpraktisch, weitläufig und man muß ewig warten an den Ampeln, bis man hinkommt. Mit dem Fahrrad ist es lebensgefährlich. Aber einmal klebte mir was am Reifen und ich hielt mitten auf der Straße an. Es war ein 50,- DM-Schein. Alle Autos hinter mir bremsten und ich überlebte. Die Straßenbahn fährt auch drüber - über den Platz. Das hat fast was dörfliches. Das beste am Alex finde ich, daß man nie weiß, wie groß er eigentlich ist. Die Gebäude, die eigentlich häßlich sind, finde ich schön, weil sie so plaziert sind, als ob jemand die dahin gestellt hat, ohne Design oder Stadtplanung studiert zu haben. Sie sind wie hingeklebt oder einfach abgestellt. Es gibt keine gesamte Gestaltung. Im Gegensatz zum Potsdamer Platz ist diese Achtlosigkeit fast schön. Und dazwischen laufen Leute rum, die irgendwo hinwollen. N.N.

Freitag, 16. 6. 2000
(...) Ich hoffe, daß der Stadt das Geld zum Bauen ausgeht! Warum sollen alte häßliche Bauten durch neue häßliche Bauten ersetzt werden? Wer neue häßliche Bauten sehen will, kann vom Alex direkt mit den Öffentlichen hin (Potsdamer Platz, Friedrichstraße). Warten wir doch noch 10 Jahre mit dem Umbau, dann ist die langweilige Glas-Fassaden-Bauweise vielleicht vorbei. Jetzt ist der Alex doch noch ein gutes Beispiel dafür, wie die DDR-Oberen sozialistisches Bauen und Fortschritt in Form von Bauten vorgestellt haben. (...) Gudrun

Freitag, 16. 6. 2000
Der Alexanderplatz, freiwilliger und immer wieder gern unternommener Pflichtbesuch auf dem Fernsehturm, mit außerstädtischem Besuch: Für den riesige Flummiautomaten, die Rundreise um Berlin, den Heimorgelspieler mit seinem Café-Musik-Repertoire bin ich jeder Zeit wieder gerne bereit, 8 DM zu bezahlen, und das ist kein Witz. Auch wenn ich den schönen Flummi schon längst beim Spielen verloren habe, mir mein neues Handy am Fuße des Turmes, als dieser schon schlief (was ich im übrigen wohl auch besser getan hätte), aus der Hand gerissen wurde - das Foto mit dem Heimorgelspieler im Hintergrund und dem grinsenden Besuch als Alibi im Vordergrund bleibt. So auch ein bestimmtes Gefühl, das am Alex auftritt und ein völlig anderes ist als am Zoo - was nichts zu sagen hat, oder doch. Ein Stück Heimat, solange ich fast nebenan wohne. Anne

Samstag, 17. 6. 2000
Der Alex begleitet mein Leben seit ca. 14 Jahren. Zu Ostzeiten war er unser Treffpunkt für die Touren in den Süden, zu Festivals, und Partys mit all den schrägen Gestalten, die damals unterwegs waren. Futtern und Trinken am Alextreff und nächtigen auf dem spärlichen Grün neben dem Fernsehturm. Ich mag die Weite dieses Platzes, den Wind, der über ihn hinweg weht, einfach der Charme, der dieser Platz verbreitet. Er ist in seiner Schlichtheit einzigartig und sollte so bleiben wie er ist. Ein wenig mehr Grün würde sicher gut sein, aber ansonsten lassen wir die bauliche Geschichte so wie sie ist. Pasta! Mark Schiffner, Friedrichshain

Dienstag, 27. 6. 2000
Ich bin nach Berlin gekommen, nicht als Tourist, sondern als Reisende. Zwei verschiedene Wörter. Keinen Blick von der Stadt, von dem Dach eines Busses. Kein paar Fotos von dem Brandenburger Tor gemacht. Und schnell! Der Bus fährt in zehn Minuten ab! Ich bin gekommen, nach den Spuren von Albert Einstein, von Rosa Luxemburg, von Marlene Dietrich... Berlin ist schön, fabelhaft schön. Ich persönlich finde den Osten schöner als den Westen. Besonders liebe ich den Alexanderplatz. Ich meine, daß die Berliner ihre eigene Geschichte schützen sollen. Und der Alexanderplatz enthält einen großen Teil dieser Geschichte. Was wollen die Banken und die Immobiliengeschäftsmänner und Frauen tun? Noch einen anderen Potsdamer Platz bauen? Noch einen anderen Konsumerort? Voll Hochhäuser, Multikinos und Shoppings? Wieviele Potsdamer Plätze brauchen Sie, meine Herren? Der Alexanderplatz, und das schöne Berlin insgemein, wird seine Persönlichkeit verlieren. Nachher, wird Alex einen Spiegel irgendeines Zentrums irgendeiner Stadt dieser globalisierten Welt. Alles das gleiche. (...) Milra Makianich, Buenos Aires, Argentinien

Mittwoch, 28. 6. 2000
Der Alexanderplatz ist für mich ein viel zu großer, leerer Platz ohne Atmosphäre - womit ich aber gut leben kann! Ich finde nicht, daß man ihn großartig verändern sollte. Da auch das einTeil unserer Geschichte ist, ein Teil von Berlin. Es ist schlimm genug, aus dieser Metropole eine "Puppenstadt" zu machen, indem man alles "verschönern" will. So, wie z.B. in Mitte ein Haus nach dem anderen saniert wird, und man sich fast wie in einer süddeutschen Kleinstadt fühlt. Und deshalb bin ich nicht nach Berlin ausgewandert. N.N.

Montag, 3. 7. 2000
Als Westdeutscher war mir das Ostberlin, nach der Wiedervereinigung, bis vor wenigen Tagen völlig unbekannt. Der Potsdamer Platz, der Gendarmenmarkt, das Nikolaiviertel, obwohl alle drei völlig unterschiedlich, haben mich tief beeindruckt. Der Alexanderplatz hingegen ist ausgesprochen häßlich, kalt, unpersönlich. Abends ist es so leer, daß man sich unsicher fühlt. Um diesen Platz sehenswert zu machen, muß sehr viel abgerissen, saniert und neu gestaltet werden. Rüdiger A., Aachen

Mittwoch, 5. 7. 2000
Also den Alexanderplatz, ich kenne ihn in der Phase mit Abständen, wo er in Bau war 1969. Intensiver kenne ich ihn seit 1974 und es war ein menschenfreundlicher Platz. Was man jetzt aus dem Platz gemacht hat, das ist so typisch - kommt aus dem Osten, können wir wegwerfen - das führt eben dazu, daß viele Gaststätten geschlossen werden/wurden. Das Preisniveau war auch ein anderes, man konnte für billiges Geld in eine Gaststätte gehen, wo heute die Spielbank drin ist. Eine Selbstbedienungsgaststätte - da nahm man sein Frühstück ein, Touristen haben dort ihr Mittagessen gegessen, dann hat´s eine Grillstube gegeben, da konnte man ein Grillsteak mit Pilzen/Champignons bekommen. Manche Bürger aus den anderen Ländern/alten Bundesländern denken, in der DDR hätte es überhaupt nichts zum Essen gegeben, hätte keine Gaststätte gegeben. Hier war ein schönes Café, hier ist jetzt Tchibo, - sage ich, ich möchte eine Tasse Kaffee - Kaffeausschank führen wir nicht - dann sage ich, das ist doch unmöglich! Es war ein herrliches Café, das haben die alles beiseite geräumt! Warum? Warum? Freilich ist das grauer Beton, doch dann mache ich ein bißchen Farbe dran, dann hat er seine Funktion wieder. Am Ausgang von einem U-Bahn-Schacht, da liegt ein Dreckhaufen. Da ist ein Baubetrieb, der packt dort seinen Müll hin. Das Gerüst an diesem Stadthaus steht mindestens schon acht Jahre. Sieht denn das der Herr Diepgen nicht? Oder ist das Absicht? Darf man doch mal fragen, ist es Absicht, diesen Platz kaputt zu machen? Weil es Zentrum Ost ist? (...) N.N., Ost-Berlin

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