Ausgabe 07 - 2000berliner stadtzeitung
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Kauflustige und Schnäppchenjäger

Wie die Deutschen vom Holocaust profitierten

Die Deutschen im Kaufrausch: Heute an der Börse, Anfang der 40er Jahre auf den Auktionen, bei denen das Hab und Gut der zur Vernichtung deportierten Juden versteigert wurde. Dieser Aspekt des Völkermordes an des Juden wurde bis heute weitgehend verdrängt und verschwiegen.

Vor ihrem Abtransport in die Vernichtungslager mußten die Juden eine schriftliche Vermögenserklärung abgeben. Der Staat zog diese Vermögen ein und verwertete sie zugunsten der Staatskasse. So wurde das gesamte bewegliche Hab und Gut der Deportierten von den Finanzämtern im Rahmen der von den Bürokraten so genannten "Aktion 3"auf öffentlich angekündigten Auktionen versteigert. Und als der Bedarf ausgebombten Deutschen an Möbeln stark anwuchs, wurden im Rahmen der "Aktion M"die Möbel der aus den besetzten Ländern abtransportierten Juden nach Deutschland geschafft. Auch diese wurden öffentlich versteigert. Zu diesen Versteigerungen - z.B. in den Messehallen von Köln - kamen Tausende von Menschen, die durch Zeitungsanzeigen über die Versteigerungstermine informiert worden waren. Aber auch an den Immobilien der Juden herrschte lebhaftes Interesse. Auf den Finanzämtern sprachen so viele "Kauflustige" vor, dass diese darüber klagten, der normale Geschäftsverkehr werde behindert.

Nachforschungen unter Polizeischutz

Wie es den wenigen Überlebenden aus den Konzentrationslagern erging, die nach Deutschland zurückkehrten, beleuchtet ein Beispiel, das Wolfgang Dreßen in seinem Buch "Betrifft Aktion 3"schildert: "Drei Jahre lang war sie im Konzentrationslager gewesen, ihre Eltern wurden ermordet. Kurz nach Kriegsende kehrte sie in ihr Heimatdorf Hemmerden zurück. Im Hause ihrer Eltern, in dem sie aufgewachsen war, lebten andere Menschen. Vom Bürgermeister bekam sie etwas Geld und eine Unterkunft im örtlichen Kloster. Die junge Frau forschte nach dem Verbleib der Sachen, die ihr und ihren Eltern gehört hatten und erfuhr, daß sie von einem Gerichtsvollzieher versteigert worden waren. Zunächst weigerte sich der Beamte, Unterlagen herauszurücken, schließlich übergab er ein Versteigerungsprotokoll. Als sie die Erwerber aufsuchte, schlug ihr eine solche Feindschaft entgegen, daß sie ihre Nachforschungen nur unter Polizeischutz fortsetzte. Wenn sie etwas zurückerhielt, mußte sie alles quittieren. Die Fahrräder fehlten. Sie verlangte vom zuständigen Finanzamt Belege über die Mieteinnahmen aus dem enteigneten Haus. Das Finanzamt erhob Einwände, schickte dann aber doch einen Beamten vorbei, er saß auf ihrem alten Fahrrad. Angesichts der geänderten Machtverhältnisse gab er es heraus. Das wäre allerdings überflüssig gewesen. Die Tochter der ermordeten Juden wurde wenig später vom Oberfinanzpräsidenten Düsseldorf ,in schärfster Form´ gerügt. Sie dürfe sich ihr Recht nicht selbst suchen, sondern müsse sich an die Gesetze halten. Resigniert gab sie die Suche nach ihrem Eigentum auf.

Steuergeheimnis und Datenschutz vorgeschoben

In der deutschen Öffentlichkeit - Ost wie West - waren die Arisierungsgewinne von Millionen Deutscher bisher kaum ein Thema. Und die Politiker haben offenbar ein Interesse daran, daß dies so bleibt. Denn 1988 wurde das Bundesarchivgesetz dahin geändert, daß Akten, die dem Steuergeheimnis unterliegen, für 80 Jahre gesperrt bleiben. Bis dahin galt der allgemeine Personenschutz von 30 Jahren. Und weil sich die Akten im Zuständigkeitsbereich der Finanzämter befinden, wird die Verwertung des jüdischen Eigentums kurzerhand zu Steuervorgängen erklärt - obwohl es sich bei den Erlösen aus den Versteigerungen eindeutig nicht um Steuern handelt.

Wolfgang Dreßen, Professor für Politische Bildung in Düsseldorf, hatte nach zähen Bemühungen die Gelegenheit, Einsicht in Arisierungsakten der Oberfinanzdirektion Köln zu nehmen. Und irgendwie ist es gelungen, daß Kopien aus diesen Akten den Weg an die Öffentlichkeit fanden und zu der Ausstellung "Betrifft: Aktion 3 - Deutsche verwerten jüdische Nachbarn"zusammengestellt werden konnten. In dieser Ausstellung sind weder die Namen der Opfer noch die der Täter unkenntlich gemacht. Und das macht einen Teil der Brisanz der Ausstellung aus. Denn das Bundesfinanzministerium vertritt die Auffassung, daß Täter und Opfer (!) dauerhaft geschützt werden müßten, der Datenschutz also Vorrang vor historischer und politischer Aufklärung habe.

Die Überlebenden des Holocaust und ihre Nachfahren haben keine Probleme mit der Nicht-Anonymisierung der Namen. Wer ein Interesse daran hat, daß die Namen der Täter im Verborgenen bleiben, machten Vertreter der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft" auf der Auftaktveranstaltung zur Ausstellung deutlich. Sie polemisieren gegen die angebliche Verletzung des Datenschutzes. Ihnen wurde zurecht entgegengehalten, ihre Aufgabe sei doch wohl nicht der Datenschutz, sondern bei den immer noch zahlungsunwilligen deutschen Wirtschaftsunternehmen die zugesagten Milliarden zur Entschädigung der Zwangsarbeiter einzutreiben.

Weigerung der HU

Welche Motive hingegen die Leitung der Humboldt-Universität (HU) hatte, keine Räume für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen, bleibt vorerst unklar. Denn das Gutachten über die Ausstellung, das sie bei Ludolf Herbst, Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der HU in Auftrag gegeben hatte, bleibt geheim. Warum, das wollen weder die HU-Leitung noch Ludolf Herbst verraten.

In Westdeutschland durchbrach die Studentenbewegung das Schweigen über den Völkermord und erzwang Antworten auf die Fragen nach der Beteiligung der Eltern und Großeltern an den nationalsozialistischen Mordaktionen. Jetzt stünden erneut Fragen und Antworten an - über die Beteiligung an der Arisierung. Aber wer heute an der Börse, beim KaDeWe oder Aldi irgendwelchen Schnäppchen hinterher hechelt, wird kaum Lust haben, den Eltern und Großeltern peinliche Fragen zu stellen, welche Schnäppchen diese bei der Verwertung ihrer jüdischen Nachbarn gemacht haben.
Detlef Kundt

Wolfgang Dreßen, Betrifft: Aktion 3 - Deutsche verwerten jüdische Nachbarn, Aufbau-Verlag, 38 DM

Die Ausstellung wird noch bis zum 16. Juli im Rathaus Kreuzberg, Yorckstr. 4-11, gezeigt, täglich 10-18 Uhr. Die Initiative kritische Geschichtspolitik will auch nach dem Ende der Ausstellung weiterarbeiten: ikg, Gethsemanestr. 7, fon 452 29 07, E-Mail: aktion3@gmx.de, Internet: www.iak-net.de. Zur Finanzierung der Ausstellung und der Begleitveranstaltung fehlen noch rund 6000 DM. Spenden sind deshalb sehr willkommen: No es facil e.V., Stichwort: Betrifft: Aktion 3, Berliner Sparkasse, BLZ 10050000, Kontonr. 41 33 33 76 09.

Literatur zum Thema Arisierung

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Arisierung ist erst in den Anfängen. Das zeigt sich auch an der Zahl der Bücher zum Thema. Das "Verzeichnis Lieferbarer Bücher" listet zum Stichwort Arisierung lediglich acht Titel auf.

Die nationalsozialistischen Gesetze und Verordnungen gegen die Juden dokumentiert das Buch Joseph Walk, Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat - Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien, UTB, 39,80 DM.

Die Arisierung in Berlin beschreibt Mario Offenberg (Hrsg.), Adass Jisroel - Die jüdische Gemeinde in Berlin (1869-1942) - Vernichtet und vergessen, 38 DM. Von diesem Buch sind noch einige wenige Exemplare erhältlich bei Kolbo, Auguststr. 77/78, So, Di-Do 11-18 Uhr, Fr 10-17 Uhr.

Die Arisierung des Berliner Warenhauses Wertheim beschreibt die Politologin Simone Ladwig-Winters. Ihr Buch liegt in zwei Varianten vor a) die wissenschaftliche: Simone Ladwig-Winters, Wertheim - Ein Warenhausunternehmen und seine Eigentümer - Ein Beispiel der Entwicklung der Berliner Warenhäuser bis zur Arisierung, LIT, 68,80 DM, b) die für ein breiteres Lesepublikum überarbeitete Fassung: Simone Ladwig-Winters, Wertheim - Geschichte eines Warenhauses, Bebra, 59,90 DM.

Die beschämende und für die überlebenden Opfer erniedrigende Praxis der bundesdeutschen "Wiedergutmachung" beschreibt Christian Pross, Wiedergutmachung - Der Kleinkrieg gegen die Opfer, Philo, 29,80 DM.

Im September erscheint ein weiteres Buch zum Thema: Wolfgang Mönnighoff, Enteignung der Juden - Wunder der Wirtschaft, Erbe der Deutschen, Europaverlag, 34,50 DM. Der Autor steht für Veranstaltungen zur Verfügung, den Kontakt mit ihm vermittelt Tatjana Kirchner im Europaverlag, fon 040/35 54 34-61, fax -66.
Detlef Kundt

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