Ausgabe 07 - 2000berliner stadtzeitung
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Kein Platz mehr für die Subkultur?

Die traditionsreiche Kirche von Unten sucht neue Räume

"Kommt Du mit ins Konzert der ,Kirche von Unten´?" Menschen, die nicht mit der Ostberliner Geschichte der 80er Jahre vertraut sind, dürfte diese Frage irritieren. Vor allem, wenn sie in den selbstausgebauten Konzerträumen in der Kremmener Straße 9-11 in Mitte Punk und Hardrock hören.

Seit 1992 hat dort die KvU ihre Räume, in denen neben hartem Sound auch viele andere kulturelle Aktivitäten auf den Programm stehen. Von Theateraufführungen über Filmabende bis zu Lesungen reicht das Angebot. Für viele eher subkulturell orientierte Jugendliche ist die KvU auch ein begehrter Ort für billiges Sonntagsfrühstück und bezahlbare Getränke.

Jahrelang befand man sich in guter Nachbarschaft: In dem von der Gesellschaft für Stadtentwicklung betreuten Gebäudekomplex befanden sich mit dem Talentschuppen und dem Kreativ-haus Einrichtungen mit ähnlicher soziokultureller Ausrichtung. In die etwas abgelegene Seitenstraße schien die Eventkultur noch nicht Einzug gehalten zu haben.

Doch mit der Ausdehnung des Kollwitzplatz-Feelings über die Kastanienallee hinweg hat sich das Ambiente in der Kremmener Straße merklich verändert. Talentschuppen und Kreativ-haus haben sich schon ein neues Domizil suchen müssen. Jetzt droht auch der KvU der Rausschmiss. Zum 1. August sind ihr die Räume gekündigt worden. Offizieller Grund sind angebliche Beschwerden aus der Nachbarschaft über Ruhestörungen bei den Konzerten und der Streit um eine zusätzliche Tür, die die KvU auf eigene Kosten einbauen sollte und den Gästen das Betreten des Hofes unmöglich gemacht hätte. "Dabei haben wir uns immer um ein gutes Verhältnis mit den Nachbarn bemüht und selbst alles getan, um unnötigen Lärm zu vermeiden", versichert Anke, die seit Jahren ehrenamtlich bei der KvU arbeitet.

Sie hält daher die Begründung auch für vorgeschoben. Zumal sich nie jemand persönlich beschwert hätte. "Für die Subkultur ist wohl hier kein Platz mehr", meint KvU-Mitarbeiter Sebastian. Ein Vorwurf, der nach einem Blick auf die Briefkastenschilder an dem Haus nicht von der Hand zu weisen ist. Filmproduktionsfirmen und ähnliche Einrichtungen aus dem Medienbereich haben dort mittlerweile Einzug gehalten.

Wenn es bezahlbare geeignete Räumlichkeiten gibt, würde die KvU auch den Standort wechseln. Doch nicht um jeden Preis. So wurde das Angebot verworfen, in eine ausrangierte Kirche nach Friedrichshain zu ziehen. Doch Anke findet das lustig: "Die wollten wir Ende der 80er Jahre mal besetzen", meinte sie an die Geschichte der Einrichtung erinnernd. Denn unter dem Dach der KvU sammelten sich in der Endphase der DDR staatskritische Umwelt- und FriedensaktivistInnen. Ein wichtiger Termin dieser Szene war der 1987 der "Kirchentag von Unten", dem die Einrichtung den ungewöhnlichen Namen zu verdanken hat. Vor Yuppisierungsbestrebungen bietet er allerdings keinen Schutz.
Peter Nowak

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