Ausgabe 07 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ein A? Pssst, genau!

Der Ensemble-Name Theater A. Fraktion ist etwas rätselhaft. Mit den Räubern von Schiller kommt man der Lösung näher

Entschuldigung, wollen Sie ein "A" kaufen? Mit solchen Worten akquirierte damals, in den 70er Jahren, eine verdächtig konspirative Handpuppe der Sesamstraße Kundschaft für ausgewählte Einzelteile des Alphabets. Wer damals alles zugegriffen hat ist nicht verbürgt. Plötzlich jedoch tauchten an markanten Stellen haufenweise "A"s auf, an Häuserwänden mit einem Kreis drum herum (nein, damals noch keine E-Mail-Adresse), in Wörtern wie Anti-Atom oder Anti-Imperialistisch - oder unter Kassibern, die mit R.A.F. gezeichnet waren. Autoritäre Kreise, ihres A-Monopols beraubt, reagierten eifersüchtig und verdächtigten die Sesamstraße kommunistischer Umtriebe.

Was das alles mit Theater zu tun hat? Nun, jetzt steht wieder so ein vermaledeites "A" im Raum und es könnte vom selben Dealer stammen: Jüngst hat sich das "Theater A. Fraktion" in Berlin gegründet, initiiert von der Schauspielerin und Regisseurin Rike Eckermann. Die Chuzpe, Assoziationen zur nicht gerade gut beleumundeten Stadtguerilla um Baader/Meinhof zu wecken, macht neugierig. Ein Marketing-Gag? Nur nebenbei, für Buchstabenmystiker, sei erwähnt, dass das "A." im Namen von einem "R" und einem "F" eingerahmt wird, was zusammengelesen, richtig, R.A.F. ergibt. "A" wie Armee? Nein. Eckermann zeigt sich in Sachen "A" zivil, verweist auf das Anti-Theater von Fassbinder und inszeniert stattdessen lieber: Nämlich jüngst das Anarcho-Stück unter den deutschen Klassikern, die Räuber von Schiller.

Schillers Frühwerk gehört eigentlich zu jenen starken Dramen, deren suggestive Dynamik eher der Regie die Hand führt als umgekehrt. Der Versuchung, per Ausstattung und Bühnenbild die Story über den Räuberhauptmann Karl Moor mit symbolischen Bezügen aufzuladen, widersteht Eckermann - fast. Denn ihr Thema ist eben auch die R.A.F., und deshalb brechen Dia-Projektionen die Bühnenhandlung, mit Meinhof-Zitaten und Protestszenen aus dem Foto-Album jener 70er Jahre, in denen das ABC des Widerstands zuletzt konsequent durchbuchstabiert wurde. Eine Assoziationskrücke, zunächst mal.

Doch nicht die historische Deutungsmacht, sondern die Spannung zwischen zwei konträren Lebensentwürfen macht diesen Bühnentext zum zeitlosen Exempel. Den Outlaw Karl treibt es weg vom Elternhaus in die offene Opposition (zu Kirche und Staat), während sein Bruder Franz daheim gegen den siechen Vater intrigiert: Mit fingierten Nachrichten über den Tod des Bruders versucht er, dessen Geliebte Amalie (Annette Weizmann) ins eigene Bett und den Vater (Veit Stiller) ins Grab zu zwingen, was ihm (fast) gelingt. Konrad Haller spielt beide, den heldischen Karl als recht nostalgisch gezeichneten Halbstarken, und Franz, "die Natter an der Brust" des Vaters, als zynischen Gerne-Groß. Generation R.A.F. versus Generation @, wenn man so will. Als Karl, von Sentimentalität getrieben, den Weg zurück in den Augiasstall des väterlichen Hauses findet - durch schräge Choreographien unschwer als Ort des "falschen Lebens" zu erkennen - spült es den Stubenhocker Franz davon, in die ewigen Wahngründe. Karl findet seinen Vater wieder, verliert jedoch sein klares Räuberweltbild.

Das linke "A" entpuppt sich, durch Schiller betrachtet, eben auch als das "A" der Adoleszenz, als Signum des Heranwachsenden: Wie breche ich die drückende Macht des Alten, des Vaters, des Paters? Wie werde ich flügge? Ist das nun die intendierte Lesart über die Stadtguerilla der 70er Jahre? Und die Sesamstraße, der Dealer ... - aber lassen wir das.

Nein, ein "A" wie Armee will uns Rike Eckermann nicht unbedingt verkaufen und Agit-Prop lehnt sie ab. Es geht ihr eher um Aufbruch, Ambitionen und Alternativen. Einen saftigen Schuss von der Wut und Sehnsucht, die sie versprüht, wenn sie von Politikverdrossenheit, Egoismus und verfehlter Kulturpolitik spricht, hat sie ihrem Räuber-Ensemble einimpfen können. Der Witz der spielstarken Truppe verpufft allerdings ein wenig in der sehr zugigen, wenig intimen Halle des Glashauses. Daran soll jedoch gearbeitet werden.
Klemens Vogel

Die Räuber (in tyrannos) von Friedrich Schiller, Theater A. Fraktion in Glashaus der Arena in Treptow, 12., 13., 15. und 16. Juli, jeweils um 20 Uhr. fon 533 73 33

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