Ausgabe 07 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Was, schon 10 Jahre?

In Amerika weiß angeblich jeder, der alt genug ist, wo er war und was er tat, als Kennedy ermordet wurde. In Ostdeutschland weiß jeder, was er sich vom Begrüßungsgeld gekauft hat. "Einen gelben Schal bei WitBoy", zum Beispiel, "eine Jeans" oder einen "Doppelkassettenrekorder" (die gab es für genau 99 Mark).

10 Jahre ist das her. Es hat sich viel geändert. Aber es ist nicht alles besser geworden. Zum Beispiel die Einkaufssituation. Zu Fuß zu erreichen (von mir aus) sind ein Plus-Markt, eine Großbäckerei-Filiale und einer jener schäbigen Läden, die trotz gegenteiliger Reklameschilder auch Waren für mehr als 99 Pfennig im Angebot haben. Da hat sich in 10 Jahren nicht die Quantität, sondern nur die Qualität der Produkte geändert.

Es gibt mehr Fertiggerichte. Mehr Farb- und Konservierungsstoffe. Mehr Plastik. Die berühmte DDR-Tiefkühlpizza aber, quadratisch und mit Erbsen, Möhren und Bockwurst belegt, ist aus den Regalen verschwunden. Heute wünscht man sich sowas wieder. Mit Vollkornteig und Sauerkraut. Zum Bio-Laden jedoch muß man mit dem Auto fahren.

Oder die gastronomische Versorgung. Nur im Osten gibt es Gaststätten am Straßenrand, die dir für ein Mittagessen zu zweit 60-70 Mark abnehmen, und noch so scheißfreundlich fragen, ob´s geschmeckt hat. Und in der Küche schwitzt der einzige Ausländer am Ort und füttert die Mikrowelle mit Rehrücken in Plastikbeutel, streut dann noch gefriergetrocknete Petersilie drüber. Das gibts im Westen auch - natürlich, im Westen gibts alles -, aber da nehmen sie nicht 27 Mark und grinsen noch frech dazu.

Seit alters her gibt es zwei Arten, Geschäfte zu machen: Man ist bestrebt, eine langfristige Beziehung zum gegenseitigen Vorteil einzugehen, hofft auf Mundpropaganda und Stammkunden, oder man steckt die Kohle ein, grinst frech und hofft, daß man sich nie wieder sieht.

Diese zweite Variante ist in den neuen Ländern leider weit verbreitet. Alle miteinander sind sie schon einmal in die Pleite gegangen, das merkt man ihnen an. Ist der Ruf erst ruiniert, kassiert´s sich völlig ungeniert.

Ein Lied davon kann singen, wer an der Ostsee Urlaub macht. Wo sonst wird einem für so viel Geld so wenig geboten? Schlechtes Essen, schlechtes Wetter, häßliche Menschen ohne Badebekleidung und am Abend im asbestverseuchten Kulturzentrum ein weiterer ehemaliger Bühnenstar der DDR mit seinem Tucholsky/Ringelnatz-Programm. Ich bekomme Alpträume, in denen ich selbst als rostiger Mittfünfziger eine Bädertour absolviere und klassische Texte von Horst Evers zum Besten gebe.

Doch die Ossis zahlen gerne Top-Zuschlag, wenn sie nur unter sich bleiben können. Hinterher sitzen sie noch feuchtfröhlich beieinander und bestätigen sich, wie schön es damals war, als man noch unter sich und sozialistisch war. Da macht eine Umfrage unter Brandenburgs Jugendlichen plötzlich Sinn, in der amtlich bestätigt wird, daß man hier fremdenfeindlich sein kann, ohne von den Forschern als "rechts" eingestuft zu werden.

10 Jahre bin auch ich nun hier, Zeit für eine Zwischenbilanz: Das besondere hier seien die Menschen, sagte man mir vor Jahren, aber das stimmt gar nicht. Die Leute hier sind wie überall: Dumm und faul, häßlich und fett (ein paar Schöne sind auch dabei), Betrüger und Betrogene. Ich empfinde es mittlerweile auch nicht mehr als Beleidigung, für einen Ossi gehalten zu werden. (Oder auch für einen Wessi, das ist mir ganz gleich.) Das einzige, was ich nicht leiden kann, ist dieser arrogante Blick auf die Völker der Welt, den sie sich mit Einführung der D-Mark übergestreift haben.

Und auf mein Begrüßungsgeld warte ich bisher auch vergebens.
Hans Duschke

Bov Bjerg verweist auf die Betroffenenvertretung Prenzlauer Berg: Thema dort "Artenschutz für Ossis".

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