Ausgabe 06 - 2000berliner stadtzeitung
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Hauptsache schön

Vorbild Potsdam: Das Stadtschloss soll herbeigeschrieben werden

Potsdam ist - glaubt man beispielsweise dem Tagesspiegel - derzeit Berlins leuchtendes Vorbild. Potsdam, heißt es, sei wie der clevere Igel im Märchen und Berlin bloß der dumme Hase, der immer das Nachsehen hat. Potsdam hat den Wiederaufbau seines Stadtschlosses beschlossen. Vor Berlin! Das wurmt. Nun erinnert sich Berlin wieder seiner "offenen Wunde" namens Schloßplatz, vulgo auch Brache, asiatische Leere oder psychische Belastung.

Jahrelang hatte eine symbolisch aufgeladene Debatte über die Zukunft des Platzes in Mitte getobt. Wiederaufbau des Schlosses, Abriß des Palastes der Republik, oder gar ein gänzlich neues Gebäude? Irgendwann ging es um nichts weniger als um die Deutungsmacht über "die Mitte" der Stadt, wenn nicht der Republik. Inzwischen nahm das Ganze absurde Züge an. So schrieb Michael Mönninger Ende 1996 in der Berliner Zeitung allen Ernstes: "Seit sieben Jahren eilen Passanten durch den Windkanal, der einst die historische Mitte war. Auf diesem Acker historischer Denkmäler haben viele die Grenzen ihrer seelischen Belastbarkeit tatsächlich erreicht. (...) Ohne das Schloß ist hier alles nichts."

Dann waren alle Argumente gesagt, die Fronten verhärtet, die Stadt wurde der Sache müde und hatte auch ganz andere Probleme. So hätte das nun folgende Schweigen wie eine normale Auszeit, eine Denkpause, eine Chance aussehen können.

Nun aber gab es die Potsdamer Entscheidung und prompt auch eine neue Berliner Idee: Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, schlug vor, die Dahlemer Museen der außereuropäischen Kulturen in einem neuen Standort auf dem Schloßplatz unterzubringen und das Haus der Kulturen der Welt gleich mit. Letzteres lehnte allerdings dankend ab: Eine Institution, die sich dem transnationalen Gedanken der nachkolonialen Zeit verpflichtet fühle, sei wohl kaum mit den musealen Sammlungen zusammenzuspannen, "zumal in einem Gebäude, das den staatlichen Repräsentationswillen des 19. Jahrhunderts ausdrückt".

"Breiter Konsens" aus dem Nichts

Diepgen nennt den Vorschlag trotzdem "bahnbrechend", der Tagesspiegel sieht in einem Kommentar gar schon "den Grundstein gelegt": "Weite Teile von Politik und Gesellschaft sind sich ohnehin längst darüber einig geworden, das auf Ulbrichts Geheiß vollends zerstörte Stadtschloß wieder aufzubauen"; von einem "breiten Konsens" ist die Rede - lediglich der Streit über die künftige Nutzung habe noch entzweit, aber das sei ja nun durch Lehmanns Vorschlag gelöst.

Interessant. Gerade über das Outfit das Gebäudes - ob moderner Neubau oder Schloßrevival - hatte Lehmann keine genaueren Vorstellungen geäußert, aber genau das stand für den Tagesspiegel schon fest: Der Schloß-Hülle hätte ja bloß noch eine Nutzung gefehlt. Fast beschwichtigend stand da noch, der Konsens über die Schloßfassade spiegele "weniger Zweifel an der Kreativität moderner Architektur wider als die Einsicht, daß die Lücke im Stadtbild ästhetisch nur durch eine weitgehende Annäherung an das Originalbauwerk geschlossen werden kann" - als wäre die Debatte bisher eine rein architektonische gewesen.

Form, Nutzung - alles purzelt nun munter durcheinander. Und während man noch grübelt, wann und wo in der Zwischenzeit welche Gesellschaft zu dem Konsens, der "Einsicht" gelangt sei und wer zu den "weiten Teilen" dieser Gesellschaft gehört (haben wir etwa die Fortführung der Debatte, gar ein Plebiszit verpaßt?), macht ein Mann namens Erik Grawert-May zwei Wochen später den nächsten Befreiungsschlag, wiederum im Tagesspiegel: Nun solle Berlin sein Hasenherz ablegen, endlich müsse "durch die ganze Region ein ästhetischer Ruck gehen".

Bilder statt Bildung

Immer noch zuviel Ballast an der ganzen Debatte: Grawert-May sorgt sich nämlich, daß mit Lehmanns Museums-Vorschlag "dem Bildungsgedanken zu viel Raum gegeben" würde, der "barocken Schaulust" aber zuwenig, schließlich würden die "Massen von Touristen" eher "nach Bildern denn nach Bildung hungern".

Ergo, ruckt Grawert-May, sei eine Nutzungsdebatte eigentlich überflüssig. Matthias Platzeck (aus Berliner Sicht offenbar eine heilige Dreifaltigkeit aus Oberbürgermeister, Deichgraf und Herzensbrecher) habe von "Seele" und "Mitte" gesprochen, die Potsdam nun wiederbekäme - ohne Nutzungen festgelegt zu haben. Nur die verbohrten Berliner verweigern sich solch fußwärmender Sicht: "Zu einer so einfachen Aussage wie der, daß Barockschlösser die Zentren der Städte zu einer malerischen Augenweide machen, würden sie sich nicht hinreißen lassen", moniert der Autor.

Nun geht es also nur noch um Bilder und malerische Augenweiden. Inzwischen haben sich die Berliner Stadtdiskurse offenbar auf esoterischem Niveau eingependelt.

Die Berliner Aussitz-Taktik ist ja inzwischen sattsam bekannt: Man mache einen ersten Vorstoß, warte dann mit Wonne den ersten Debattensturm ab, inszeniere noch ein paar pseudodemokratische Foren (bei denen das Ergebnis schon vorher feststeht), lasse die Kritiker sich müde reden, warte zwei, drei Jährchen - und macht dann doch weiter wie längst geplant. So läuft es mit dem "Planwerk Innenstadt", und so läuft es vermutlich auch mit dem Schloß.

Tapetendiskussion

Noch schlimmer aber ist die Ahnung, daß all das Reden über "Bilder" (wie auch beim Planwerk) blutig ernst gemeint ist. So herzlich bauchbetont und infantilisiert wird inzwischen über Stadt entschieden: Es reicht Gerhard Schröders eher beiläufig-hilfloses Bonmot, das Schloß sei "einfach schöner", um es flugs zum Kanzlerwort resp. Chefsache zu machen. Dabei weiß keiner, ob der erste Mann im Staate einfach nur gerade an seinen Ausblick aus dem Arbeitszimmer dachte oder aber an die Tapetendiskussion mit Doris. Aber auch der Denkmalschutz soll ja, ginge es nach dem "Stadttheologen" Dieter Hoffmann-Axthelm, inzwischen rein nach mehrheitlichem "Schönheits"empfinden entschieden werden: eine Art Architektur-"Big Brother". Dann sollten wir solche Kategorien aber auch ernst nehmen: Ein unvoreingenommener Texaner hat beispielsweise öffentlich den Abriß des mit Abstand häßlichsten Gebäudes am Platze gefordert. Er meinte den Berliner Dom, ein eklektizistisch-bombastisches Etwas.

Ganz unbefleckt bleibt die "Debatte" übrigens von solchen Petitessen wie der Finanzierung, die sowohl in Potsdam als auch in Berlin ungeklärt ist. Der Berliner Stadtentwicklungssenator jedenfalls hatte schon mehrfach deutlich erklärt, daß der Bau mindestens zur Hälfte von der Kommune getragen werden müsse. Angesichts des unsäglichen Tauziehens um die "Topographie des Terrors" oder das Holocaust-Denkmal wird es da möglicherweise Fragen nach den Berliner Prioritäten geben.
Ulrike Steglich

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