Ausgabe 06 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Unfreiwillige Bodenhaftung

Romuald Karmakar zeigt in "Manila", was passiert, wenn Touristen keinen Abflug machen dürfen.

Romuald Karmakar, so scheint es, hat ein Faible für geschlossene Räume. Nach seinem viel gerühmten Zwei-Personen-Stück "Der Totmacher" nun "Manila", in dem sich eine Flugzeugladung von Touristen eine Nacht in einem Abflugterminal der phillipinischen Hauptstadt um die Ohren schlagen muss. Ein gutes Dutzend Reisender pickt sich Karmakar heraus und entwickelt inmitten hunderter schlecht gelaunter Heimreisender erneut kammerspielartige Szenen. Der kleine Raum vor den Toiletten, in dem der bauernschlaue Schwabe Franz (Martin Semmelrogge) der Klofrau von seinen phillipinischen "Freundinnen" erzählt und wie ein Zerberus über das Trinkgeld-Schüsselchen wacht; die Theke mit den kostenlosen Cocktails, Knut und Herbert, ostdeutscher Pensionär der eine, Bordellbetreiber mit phillipinischer Gattin der andere, schnapsselig Freundschaft schließen: eine um die andere Szene wirkt, als wären die Gesprächspartner ganz unter sich, der Rest des überfüllten Terminals wird zur statischen Theaterkulisse.

Vielleicht war "Manila" als Psychogramm deutscher Reisender in der Fremde gedacht. Die Ansätze sind vorhanden. Touristen ohne Tourismus, auf den unangenehmsten Zug des Reisens zurückgeworfen. Steckengeblieben in dieser Schleuse zwischen der exotischen Lüftung des Alltagsmuffs und der vertrauten Heimat, unausweichlich verwiesen auf das bekannte Dilemma, dass man, ganz gleich, wie weit man reist, doch immer auf sich selbst oder, schlimmer noch, auf seinesgleichen stößt.

Doch trotz dieses Stoffs für ungewöhnliche Kontakte bleibt leider unklar, worum es Karmakar geht. Obwohl von der Beschreibung her vielversprechend angelegt, bleiben die Figuren meist deutlich hinter ihrem Potenzial für Charakterstudien oder soziale Konflikte zurück. Jürgen Vogel als Ex-Soldat Rudi, der seine traumatischen Somalia-Erlebnisse bis heute nicht verarbeitet hat, wird somit schnell auf den kuhäugigen Stichwortgeber seines abstoßenden Schwagers reduziert, der nach zwanzig Jahren auf Montage nichts besseres zu erzählen hat als pornografische Geschichten von Enthauptungen in Saudi-Arabien und Sex-Abenteuern mit Asiatinnen.

Karmakar mag sich die Klischeevorstellungen aller Exotik-Urlaubsfantasien zum Thema gemacht haben. Doch was am Ende dabei herauskam, wurde zu sehr zur Collage sattsam bekannter Bilder von kleinmütigen oder großmäuligen deutschen Spießbürgern im Ausland, die mit Fremde noch nie anders umgehen konnten, als sie entweder zu kolonialisieren oder zu verdammen. Letzlich läuft auch fast alles auf das Verhältnis der Beteiligten zu Sex und Fremdheit hinaus: mit deutlicher Gewichtung des ersteren. So bleibt am Schluß vor allem die Frage, ob "Manila" oft so steif und vorhersehbar ist, weil er quasi-dokumentarisch abbilden soll, was man überall sehen kann, wo stereotype Deutsche unter sich sind.
Markus Sailer

Manila, D 2000. Regie: Romuald Karmakar. Darsteller: Jürgen Vogel, Manfred Zapatka, Michael Degen, Margit Carstensen u.a.
Kinostart: 29.6. in den Kinos Colosseum, Filmbühne am Steinplatz, Filmpalast

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