Ausgabe 06 - 2000berliner stadtzeitung
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Buster Keaton in böhmischen Dörfern

Der tschechische Straßenfeger "Die Rückkehr des Idioten" im neuen Filmverleih "Horch und Guck"

Das Kino Balazs beherbergt neuerdings unter seinem Dach auch einen Filmverleih. Startkapital gab dazu der von einer Berliner Tageszeitung ausgelobte Innovationspreis für das beste Programmkino. Das Geld dafür nutzten die Kinomacher, um den Verleih "Horch & Guck" zu gründen. Dessen erster Film " Die Rückkehr des Idioten" ist die erfolgreichste tschechische Produktion des Jahres 1999. In Tschechien sahen diesen Film fast eine halbe Million Zuschauer, bei einer Gesamtbevölkerung von 6 Millionen ein stattliches Ergebnis. Sassa Gedeon gehört zu den großen Regiehoffnungen des Landes, wenn nicht Europas, glaubt man der Zeitschrift "Variety".

"Die Rückkehr des Idioten" ist inspiriert von Dostojewskis Roman "Der Idiot". Aber eben nur inspiriert. Schauplatz ist ein böhmisches Provinzstädtchen kurz vor Silvester. Franta, der Held des Films, ist gerade aus der Nervenheilanstalt entlassen worden. "Man kann nicht immer vor dem Leben davonlaufen" hat der Arzt ihm gesagt, und so soll Franta (Pavel Liska) wieder integriert werden. In der Kleinstadt wird ihn eine entfernte Verwandte aufnehmen.

Auf der Zugfahrt dorthin begegnet er einer verschlossenen jungen Frau, die mit ihm das Schlafwagenabteil teilt und am selben Zielort aussteigt. Eine Kleinstadt, in der die Zeit stehengeblieben ist. Das CafeĢ an der Ecke heißt "Riga", man trinkt Bier und vergnügt sich in der Tanzschule oder auf der Eisbahn. Nur einmal spielt das Radio halbwegs moderne Musik. Die Schauplätze scheinen nicht von dieser Welt, und es liegt Schnee. Die Menschen haben Zeit, es sind ja Ferien.

In der Stadt angekommen wird er alsbald in eine verzwickte Vierecksgeschichte verwickelt. Zwei Schwestern und zwei Brüder sind miteinander verlobt, pflegen aber auch Affären über Kreuz. Die Mutter der Brüder ist Frantas entfernte Verwandte. Frantiöek beobachtet alles und fühlt einfach mit. Denn er hat den naiven Blick eines arglosen Kindes, hat noch nichts erlebt, außer in der Heilanstalt zu sein. So ist fast alles, was er tut, das erste Mal. Ein eigenes Ego hat er nicht und kann sich so besser in die Menschen einfühlen. Ihm tun alle leid, und er durchschaut sie, kennt die Personen besser als sie sich selbst. Natürlich nehmen sie ihn nicht ernst. Sich mit einem Idioten zu befreunden, hieße selbst ein bißchen Idiot sein. Und das bedeutet Schwäche. Insofern befinden wir uns doch hier und heute. Er leidet mit den anderen und weint, aber keine Tränen, sondern Blut aus der Nase. Am Silvesterabend kulminieren die Spannungen, die Paare trennen sich und kommen auch nicht neu zusammen. Franta will wieder zurück in die Klinik, doch er meint Anna, eine der Schwestern, beschützen zu müssen. Sie scheint die einzige zu sein, die ihn irgendwie versteht.

Trotz der scheinbaren Zeitlosigkeit ist der Film auch als Kritik an den Umständen gemeint. Die Bildsprache erinnert teils an die Sechziger, an Filme wie "Der Feuerwehrball", teils ein wenig an Slapstick und manchmal an die vierziger Jahre. Ein Paar sieht sich einen Film aus dieser Zeit im Kino an. Der Held Franta hat auch etwas von Buster Keaton, einer, der nie lacht. Oder von Harold Lloyd, der ungewollt in komische Situationen gerät. Es gibt surreale Traumseqenzen, Situationskomik und Melancholie. Und beim Hinausgehen ein Gefühl der Leichte.
ib

"Die Rückkehr des Idioten" (OmU), Buch und Regie Sasa Gedeon, Darsteller: Pavel Liska, Anna Geislerova, Tatiana Vilhelmova; Tschechien 1999, ab 29.6. im Balazs

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