Ausgabe 06 - 2000berliner stadtzeitung
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"Moralischer Imperativ vs. Generation Golf"

Maxim Biller sprach bei einer Lesung in der Schaubühne mit Florian Illies

"Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit" - das war der Titel einer Lesung an zwei Abenden in der Schaubühne, bei der die jungen Gegenwartsautoren Maxim Biller, Peter Stamm, Florian Illies aus ihren Romanen sowie die Bachmann-Preisträgerin Terezia Mora aus bisher unveröffentlichtem Material vortrugen.

Hintergrund der Veranstaltung war eine Rede Maxim Billers "Über die Schwierigkeiten beim Sagen der Wahrheit". In dieser Rede warf er der deutschen Gegenwartsliteratur den Fehdehandschuh hin, indem er die in ihr grassierende Schlappheit und Feigheit geißelte.

Bei Billers Invektiven gegen die deutsche Literatur applaudierten die wenigen älteren Leute im Publikum, während Florian Illies das Szenevolk auf seiner Seite hatte, das seine Aper¨us mit Applaus und Lachen goutierte.

Der Roman "Die Tochter" besteht aus verschiedenen Handlungssträngen, wobei sich Maxim Biller auf die Figur Motti konzentriert, einen jungen Israeli, der mit einer Deutschen verheiratet ist und in München lebt. Die Erzählung dieser nicht unproblematischen Beziehung wird durch Mottis Erinnerungen an seine Erlebnisse im Krieg gegen Libanon 1982 unterbrochen. In diesen Passagen wird die Glaubwürdigkeit und Identität Israels in Frage gestellt, "die blinde Selbstgerechtigkeit der Pioniere" und das gespannte Verhältnis zu den Arabern. Maxim Biller ging es hauptsächlich darum, München an einem Wintertag zu zeigen sowie die Erfahrung, daß Deutschland kein Land, sondern ein Zustand ist. Die Deutschen vermiesten sich ihr Land gegenseitig, was durch die Wahrnehmung des Aussenseiters Mottis subtil dargestellt wird.

"Ich will mich selbst nicht langweilen beim Schreiben" ist Billers Devise und auch das Publikum ist von den Romanpassagen in den Bann gezogen, denn elementare Fragen deutsch-jüdischer Identität und Geschichte und ihr Hereinreichen in die Gegenwart werden exemplarisch an glaubwürdigen Figuren abgearbeitet. Dabei ist Billers Sprache nie gefällig oder dröge, sondern beschreibt lebendig und genau.

Ganz anders Forian Illies: Seine Kindheits- und Jugenderinnerungen, d.h. Erinnerungen an Markenartikel der 80er Jahre in seinem sogenannten "Sachbuch" Generation Golf als plakativen Schwachsinn zu bezeichen, wäre pauschalisierend. Zugegeben, die Beobachtungen in seinem erfolgreichen Zeitgeistroman "Generation Golf" sind fein und entbehren nicht einer gewissen Lakonie, aber leider erschöpft sich seine Weltwahrnehmung in einer minutiösen Beschreibung verschiedener Markenprodukte bzw. menschlicher Stereotypen. Diese radikale Verengung der Perspektive erzeugt ein fast klaustrophobisches Spießeridyll, bildungsfern und apolitisch, bevölkert von TV-Zombies. Eine Verengung, die in der absurden Frage "Warum weiß mein Golf die Antwort?" gipfelt. Illies´ lapidarer Satz "Wir lernten alle nicht für die Uni, sondern fürs Leben, unser Hauptfach hieß Karriere", zeigt, daß schon eher von einer immer wiederkehrenden ,Generation Wolf´ die Rede sein könnte.

Aber was ist eigentlich mit all denen zwischen 1965 und 1972 Geborenen, deren Kindheit und Jugend von anderen Werten geprägt war? Was wäre, wenn sich eine ostdeutsche Stimme anmaßte, DDR-Erfahrungen zum Maß aller Dinge zu erheben?

Auch wenn Illies in der Diskussion daraufhinweist, daß er eine Hilflosigkeit angesichts einer Welt, in der althergebrachte, humanistische Werte nichts mehr bedeuten, ausdrücken wolle, hinterfragt seine Sprache an keiner Stelle die Auswüchse der Konsumgesellschaft. Maxim Biller wirft ein, daß es ja Kategorien wie "richtig" und "falsch" gebe, eine Art kategorischen Imperativ, der generell in seiner Argumentation durchschimmert, was von Illies süffisant als altväterliches, biblisches "Kehret um!" bezeichnet wird (Maxim Biller hat jüdische Wurzeln).

Illies´ Bemerkungen über bestimmte Zeitgeistphänomene wie Quarzuhren oder die Entwicklung vom Laufen zum "Joggen" mögen für eine geistreiche Spiegelkolumne reichen, für Literatur in ihrer bescheidensten Form ist es bei weitem nicht ausreichend. Spätestens bei Illies´ detaillierter Unterscheidung diverser gleich blödsinniger Frauenzeitschriften reißt einem der Geduldsfaden.

Eine Pointe hebt sich Maxim Biller dann bis zum Schluß auf, in dem er preisgibt, daß Rainald Goetz kurz vorher abgesagt hatte, da ihm die Zusammensetzung des Podiums nicht gefiel.
Mareike Meyer

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