Ausgabe 06 - 2000 | berliner stadtzeitung scheinschlag |
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Lächeln? Hier? Heute?Ich liebe solche Tage. Das Schweinesystem ist sich ganz sicher, dass es auch in 50 oder 100 Jahren noch bestehen wird, und wenn ich gestern noch dachte, "ach, es ist doch alles so schön eingerichtet von denen da oben", dann frag ich mich heute, wie der liebe Gott das alles zulassen kann, dann gilt heute die Parole: "Nur schlechte Menschen haben gute Laune." Georg ist zu Besuch, und ich will ihm die Stadt zeigen. Georg hat bis vor zehn Jahren in Berlin gelebt, dann ist er nach Amerika gegangen und hat es dort zu was gebracht: Frau, zwei Kinder, ein Haus direkt an der Westküste. Die Freaks und Hippies in San Francisco haben ihre Vorbehalte gegen das dicke Geld noch etwas früher abgelegt als ihre Kumpels in Kreuzberg, und so ist mir Georg ein paar Hundertausend Dollar voraus. Georg sagt: "Sozialer Fortschritt, you know, das ist, wenn ich mit Jeans überall rein komme." Wir fahren zum Potsdamer Platz, in der U-Bahn lächelt Georg einen Schnorrer an, und der schüttelt bedauernd den Kopf. No credit cards accepted. Georg sagt: "Hi, I´m Bill." Hä? Ah, er liest aus der Zeitung vor. Dass der Präsident und Schröder und Fischer am Kollwitzplatz essen waren, steht da. Ganz ungezwungen, ganz locker. Womöglich in Jeans? Dass das früher nicht möglich gewesen wäre, steht da, und dass das doch schön sei jetze, so normal. Und dass der Wirt mit den Preisen nicht hochgehen will. Puh, da menschelt´s aber in der Kriegsverbrecherkantine. "Oh, oh", sagt Georg, "ist das der Geist von Königgrätz?" Viel haben wir von diesen ganzen Schlachten nicht mitbekommen im Geschichtsunterricht, aber diese Formulierung haben wir uns gemerkt. (1866 war Bismarck extra nett zu den besiegten Österreichern, hat sie weniger gedemütigt, als wir uns das heute wünschen würden usw. Und wir durften so lustige Wendungen lernen wie: "der Geist von Königgrätz".) Anyway, der US-Präsident am Kollwitzplatz, das ist nicht der Geist von Königgrätz. Ein junger Mann spricht uns an. Braungebrannt, kurzes gegeltes Haar, so steht er in der Sonne. "Haben Sie einen Telefonanschluss bei der Telekom?" - "Ja." Er ist von Mannesmann und findet das irgendwie nicht gut. Ich frage ihn, ob mir Mannesmann denn garantieren kann, dass ich als Mannesmannkunde meinen alten Sechs-Elfer weiterverwenden kann.
Drei Meter weiter steht er schon wieder. Skilehrergesicht, raspelkurzes Gelhaar. Jetzt macht er Reklame für Barclay´s Kreditkarten. Er fragt: "Studiert ihr noch?" Wie kommt er denn darauf? Und warum duzt er uns? Dann summt er, ganz sanft: "Lächelt doch mal." Lächeln? Hier? Heute? Ach du selige Demenz! Ich liebe solche Tage. Wenn die Nacht am tiefsten ist ... Georg zieht mich am Ärmel. "Wow, der Rote Stern! Geht hier jetzt die Revolution los oder was?" Tatsächlich. Ein großer roter Fünfzack. Zwei Meter hoch. Oh Himmelsbote, fege sie hinweg, die grinsenden Fürsten der Finsternis! Aber der Stern ist aus Plüsch. Aus dickem roten Plüsch. "Astron Hotels" steht auf ihm drauf. Er geht vor MacDonalds auf und ab und verteilt Reklamezettel. Die Frau im Stern lächelt aus ihrem Guckfenster. Der Schweiß rinnt ihr vom Gesicht.
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