Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
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Toskana-Terror

Spanien, Italien, Sonne, Strand, Cappuccino und Dolce Vita. Nicht nur im Urlaub, immer sollte es so sein, hier in Berlin. Und wenn´s nicht immer so warm ist wie am Mittelmeer, dann soll es doch wenigstens so aussehen.

Zum Beispiel am Breitscheidplatz. Zu einem "Stadtplatz mit mediterranen Charakter" soll der Platz rund um die Gedächtniskirche werden, sagte Senatsbaudirektor Hans Stimmann, als er die Pläne für die Umgestaltung vorstellte. Und das sieht so aus: Quergestreift soll der Breitscheidplatz werden und nachts warm leuchten. Vor allem aber sollen die Bäume und Sträucher weg, weil auf einer italienischen Piazza ja auch keine Bäume stehen.

Mitte April wurde der Wettbewerb zur Umgestaltung des Westberliner Aushängeschildes entschieden. Der Siegerentwurf der Landschaftsplaner Heike Langenbach und Roman Ivan-csics sieht 52 Lichtbänder vor, die mit fünf Metern Abstand in den Boden eingelassen werden. Nachts werden die Passanten von unten beleuchtet. Das spart die üblichen Straßenlaternen.

Doch nicht nur auf die Laternen haben es die Planer abgesehen. Der ganze Platz soll "entrümpelt" werden, wie es der Vorsitzende des Preisgerichts, Guido Hager, ausdrückt. Almut Jirka aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beklagt, dass der Platz "ohne System vollgestellt" worden sei. Der Stadttheologe Dieter Hoffmann-Axthelm meint, die Gedächtniskirche sei "eingemüllt" worden.

Dieser "Müll", das "Gerümpel" sind die Sitzbänke, Nischen, Hochbeete, Sträucher und Bäume, die nun entsorgt werden sollen. Ein paar Alibibäume bleiben stehen, aber aus den Sichtachsen müssen sie verschwinden. "Der Entwurf hat als Konzept einen offenen Stadtraum", erklärt Hager.

Der Autotunnel an der Budapester Straße wird zugeschüttet, der Verkehr verläuft dann fünfspurig oberirdisch. Zugleich fallen die Hochbeete weg und der Platz selbst wird etwas kleiner. Ziel dieser Maßnahme ist die bessere Anbindung des Bikinihauses an den Breitscheidplatz. Warum es dadurch für Fußgänger leichter werden soll, die andere Seite der Budapester Straße zu erreichen, bleibt das Geheimnis von Hans Stimmann, der in den achtziger Jahren über das Thema Verkehrsflächenüberbauung promovierte.

Das "Konzept des Weglassens" von Langenbach/Ivancsics ist ganz nach dem Geschmack von Überwachungsfanatikern: eine große, leere Fläche, freie Sicht für Videokameras, ohne dunkle Ecken, in denen finstere Gestalten zwielichtige Dinge tun könnten. Den Verdacht, der Entwurf sei von diesem Gedanken getragen, weisen die Planer und der Senatsbaudirektor natürlich zurück: "Das ist keine Planung zur Lösung sozialer Probleme", sagte Stimmann, doch der Einzelhändlerzusammenschluss "AG City" freut sich schon über "mehr Sicherheit".

Mit den Worten "Mut zur Leere" charakterisierte Guido Hager den Entwurf, der für acht Millionen Mark bis 2002 realisiert werden soll.

"Mut zur Leere"? Andere Plätze, die schon heute Mut zur Leere beweisen, werden von denselben Leuten, von Hans Stimmann, Dieter Hoffmann-Axthelm, Klaus Hartung und Peter Strieder voller Ekel als "zugige Unorte", "sibirische Ödnis" oder "Betonwüste" gescholten. Den Alexanderplatz und den Raum zwischen Fernsehturm und Spree würden sie am liebsten "räumlich fassen", die "Steppe zivilisieren". Die Toskana-Stadtplanungsmafia würde - in ihren eigenen Worten - nichts lieber tun, als den Alex mit "Gerümpel einzumüllen".

Sie bedienen sich immer der Bilder, die ihnen gerade in die Argumentation passen. Was ist ihnen lieber, der Marktplatz von Siena oder der Bahnhofsvorplatz von Magnitogorsk?, lautet die suggestive Frage. Die italienische Piazza und die spanische Plaza sind unendlich dehn- und drehbare Wunschbilder. Straßencafés gleich Urbanität gleich gut. Es wird einfach übernommen und nicht einmal hinterfragt, warum auf den Piazzen keine Bäume stehen (nämlich weil es dort zu trocken ist).

Die Toskana Armee Fraktion terrorisiert die Stadt mit ihrer einseitigen Vorstellung von Urbanität, in der Historie und Schönheit aus der Vogelperspektive wichtiger sind als der Gebrauchs- und Erholungswert eines Platzes für die Stadtbewohner. Die Gilde der Landschaftsplaner macht dabei bis zur Selbstaufgabe mit, weil dicke Aufträge winken. Nicht nur am Breitscheidplatz planen Landschaftsplaner die letzten Reste von Grün weg. Auch das Zwirngrabendreieck am Hackeschen Markt, für dessen Erhalt als Grünfläche die Anwohner jahrelang gekämpft hatten, wird nun zu einem "steinernen Stadtplatz" umgebaut, wie schon das Kulturforum seine zentrale Rasenfläche gegen eine tatsächlich öde Schotterfläche mit symmetrisch angeordneten Bäumchen einbüßen musste.

Acht Millionen Mark will man sich das "Entrümpeln" des Breitscheidplatzes kosten lassen. Sieben Millionen hat die pseudo-Schinkelsche Umgestaltung des Lustgartens gekostet, die zwar hübsch anzusehen ist, aber von niemandem so recht genutzt werden kann. Daneben nimmt sich das Zwölf-Millionen-Mark-Sonderprogramm, das der Senat großzügigerweise für 20 weniger repräsentative, wohnortnahe Plätze spendiert, äußerst bescheiden aus. Für jeden Platz blieben durchschnittlich

600000 Mark übrig. Damit kann man allenfalls ein paar Blümchen pflanzen und Zäunchen setzen. Doch die wahre Misere ist, dass den bezirklichen Grünflächenämtern kein Geld zugestanden wird, um die Anlagen zu pflegen. Die einmaligen zwölf Millionen von Senat sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Aber um irgendwelche Plätze in irgendwelchen vergessenen Kiezen geht es der Toskanafraktion gar nicht. Die Stadtmitte ist ihnen wichtiger. Klaus Hartung fordert aggressiv ein "Embellissement", eine Verhübschung des "asozialen Zentrums" und Dieter Hoffmann-Axthelm schlägt vor, wieder Autos über Alexander- und Breitscheidplatz fahren zu lassen. Mit der Vespa fahren wir dann bei einer Espressobar vor, trinken einen Grappa und schreiben eine Ansichtskarte: Saluti della bellissima Piazza Alessandro a Berlino.
Jens Sethmann

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