Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
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25 Millionen für die Selbsthilfe

Der Senat bewilligt die Förderung von wohnungspolitischen Selbsthilfemaßnahmen

Die Projekte konnten nicht länger warten. Obwohl die alten Richtlinien für die "Wohnungspolitischen Selbsthilfemaßnahmen" seit 1. Januar nicht mehr gelten, hat die Finanzverwaltung vorab schon mal einen Teil der Gelder für das Jahr 2000 freigegeben.

"Geld muss freigegeben werden - bitte zustimmen!" Dieser der Senatsverwaltung für Finanzen wohl nur allzu bekannte Hilferuf kam von Florian Schöttle, dem 1. Vorsitzenden des Arbeitskreises Berliner Selbsthilfegruppen im Altbau e.V. (AKS). "Sonst scheitern ein paar Projekte", verlieh der "Lobbyist" Schöttle seiner Bitte Dringlichkeit und benutzte dazu auch "informelle CDU-Kanäle". Befürworter der Selbsthilfe gäbe es nämlich in allen Parteien.

Insgesamt 45 Millionen Mark sind im Berliner Haushalt des Jahres 2000 für die Selbsthilfe vorgesehen. 16 Projekte stehen auf der Förderliste für dieses Jahr. Mit den jetzt bewilligten 25 Millionen Mark kann bei sechs der Häuser mit der Sanierung begonnen werden. Erstes Ziel des AKS, bei dem 13 der 16 Projekte Hilfe gesucht haben, ist es nun, diese Summe zu erhöhen. Bis die neue Richtlinie verabschiedet ist, wird es nämlich noch dauern. Jetzt soll sie erst einmal im Bauausschuss diskutiert werden - zusammen mit der Richtlinie zur Förderung der Sozialen Stadterneuerung, die ebenfalls zum Jahresende ausgelaufen ist. Und nicht zum ersten Mal fordert die Senatsverwaltung für Finanzen, beide Teilprogramme zusammenzufassen.

Der AKS wehrt sich vehement dagegen. Bei der Sozialen Stadterneuerung, so Schöttle, sei der Sanierungsprozess "fremdbestimmt", die Arbeit wird von Fachbetrieben besorgt. Bei der Selbsthilfe gehe es aber um eine Selbstverwaltung der Häuser, und die sei eben am besten über das gemeinsame Sanieren zu erlernen. Die Selbsthelfer können selbst die Art des Ausbaus ihrer Wohnungen bestimmen. Auch sind sie von der Handwerksrolle befreit, dürfen also als Ungelernte Facharbeiten ausführen. Manche Selbsthelfer aber lassen ausführen, anstatt ihre Stunden alle selbst abzuleisten, weil sie wegen Beanspruchung im Beruf oft weder Zeit noch Energie zur Selbsthilfe haben. So existiert, wie Schöttle zugibt, hier ein "grauer" Bereich, der zu Streit mit der Bauwirtschaft führt.

Auf den AKS kommt zudem eine grundsätzliche Diskussion über die Selbsthilfe zu. Nur drei der 16 Häuser des Jahres 2000 sind nämlich laut AKS noch "klassische" Selbsthilfeprojekte, also Menschen, denen es um ihren eigenen Wohnraum geht. Die anderen sind "wohnungspolitische Projekte", die Wohnraum zur Erreichung ihrer Ziele benötigen und das wegen mangelnder Finanzkraft nur im Rahmen des Selbsthilfeprogrammes erreichen können. So zum Beispiel der Verein "Independent Living", der in der Anklamer Straße Wohnungen und eine Anlaufstelle für benachteiligte Jugendliche schaffen will.

Die "klassischen" SelbsthelferInnen scheinen im Berlin des Jahres 2000 langsam zu verschwinden. Im Rahmen einer Genossenschaft wie den Berliner Neugründungen der neunziger Jahre, z.B. der SOG in Friedrichshain und der Selbstbau e.G. im Prenzlauer Berg, scheint private Selbsthilfe heute noch am ehesten realisierbar zu sein. So ist die finanzielle, organisatorische und menschliche Basis einfach größer. Schließlich bedeutet eine Sanierung in Selbsthilfe für jeden Beteiligten normalerweise einen Arbeitseinsatz von 800 Stunden in zwei Jahren - in der Freizeit. Und die Zeiten der wirklich billigen Mieten sind in den Selbsthilfe-Häusern auch vorbei. Nach den heutigen Förderbedingungen liegt die Miete nach der Sanierung in Höhe der Regelmiete des sozialen Wohnungsbaus. Die beträgt 8,28 Mark pro Quadratmeter - ganz ohne eigenen Arbeitseinsatz, aber auch ohne Selbstbestimmung.
Bernd Hettlage

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