Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
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Polizei macht im Mai etwas neu

Korb- statt Steinwürfe sollten Jugendliche am 1. Mai trainieren - auf der "Sportmeile"

Krachend knallen achtzehn Bierkästen auf den Asphalt. Oben in der Luft, wo die Säule aus Kisten vor einer Sekunde noch endete, baumelt freudestrahlend Emrah Yirlikaya am Kranseil. Der 13-jährige hat einen neuen Rekord im Kisten-Klettern aufgestellt. Der Kranführer lässt ihn auf den Boden herabschweben.

Am Nachmittag des 1. Mai stehen eine gelb-rote Luftkissen-Hopsburg, vier Streetballkörbe, Sitzbänke aus Holz und dunkelblaue Sonnenschirme mitten auf der Kreuzberger Bergmannstraße. Zwischen spielenden Kindern sind grüne Uniformen zu sehen: Die Polizei veranstaltet zum ersten Mal die "Sportmeile", ein Straßenfest - um gewaltbereite Kids vom Steinewerfen abzuhalten. "Kinder und Jugendliche sollen lieber Sport treiben, anstatt zusammen mit den Autonomen Randale zu machen", wünscht sich Kommissar Björn Neureuter, einer der Organisatoren. Beim letzten 1. Mai stand er mit Helm, Schild und Schlagstock in der Polizeikette. Heute läuft er geschäftig hin und her, gibt einem Radioreporter ein Interview, spurtet zum ausgegangenen Dieselgenerator und fragt seine Kollegen, wie die Dinge denn so stünden. Zwischen Skateboardbahn und Fußballtor parkt das "Anti-Gewalt-Mobil", ein von Steinwürfen zerbeulter grün-weißer Transporter. Drinnen liegen Messer, Wurfsterne und Prügelstöcke aus Holz - all das hätten Demonstranten zu vergangenen Mai-Krawallen mitgebracht.

Nur rund zwanzig Jugendliche im steinwurffähigen Alter zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig nahmen die Einladung der Uniformierten zu Spiel und Sport an. Nihad Ark, Anfang zwanzig, sieht so aus, als könnte er einen Stein werfen. Am Straßenrand ruht er sich vom Streetball aus, nebenan balgen sich seine Freunde um die besten Plätze zum Korbwurf. "Steine werfen, das darf ich gar nicht, das gibt nur Ärger", sagt er. "Ich bin doch bei der Bundeswehr." Jedes Wochenende spielt er Streetball. Sonst im nahen Böcklerpark, heute mal hier auf der Party der Polizei.

Hartmuth Kurzhals schraubte die Rampen für einen Skater-Parcours zusammen. Er gehört zum "Verein für Sport und Jugendsozialarbeit", den die Ordnungshüter für das Happening mit ins Boot holten. Der Verein baut in der Berliner Innenstadt zusammen mit Jugendlichen Rampen für Inline-Skater und große Schanzen für Skateboardfahrer. Heute organisierte er auch den Kranwagen fürs Kistenstapeln und baute eine Kletterwand auf. Der 48-Jährige trägt T-Shirt, Sporthose, Turnschuhe. Anfang der 70er Jahre demonstrierte auch er gegen das politische System. "Ich habe aber nie einen Stein geworfen, ehrlich", sagt Kurzhals. Er ist der älteste bekehrte Krawallmacher auf dem Sportfest der Polizei. Sein Verein entschloss sich - nicht ohne Diskussionen - zur Zusammenarbeit mit der Polizei, da das Anliegen gut sei.

Über die Sprungrampen aus Sperrholz gurken einige Fünfjährige mit ihren BMX-Rädern, Passanten sonnen sich auf Bänken vor den Straßencafés. Nebenan auf dem Mehringdamm rast unter Sirenengeheul ein Bundesgrenzschutz-Wagen vorbei. Kommissar Neureuter erzählt von der zweimonatigen Vorbereitung des Festes. 1500 Plakate ließ die Polizei kleben, achtzig Beamte haben hier Dienst. Viele kommen von der Wasserpolizei oder der Reiterstaffel, denn die Schutzpolizisten werden heute woanders gebraucht. Die achtzig Mitarbeiter in der Bergmannstraße sollen das Polizei-Image bei den Anwohnern aufpolieren.

Berliner Polizeibeamte sähen die Aktion "Sportmeile" auch skeptisch, wird gesagt: Die Gewalttäter würden nicht erreicht, solche Feste hätten keinen Sinn, gegen Randalierer müsse man "klassisch" vorgehen, eben mit Schlagstock, Tränengas und Wasserwerfer. Die Führungsebene der Polizei entschied sich allerdings auch für das Fest - also bauten Neureuter und Kurzhals die Streetballkörbe auf. Dass die Kids heute doch etwas jünger als die Zielgruppe seien, dass potenzielle Krawallmacher nicht zum Fest kommen, das gibt auch Neureuter zu. Aber Ziel sei ja, die Mitläufer und gelangweilten Sensationslustigen von den Brennpunkten der Gewalt fern zu halten.

Die Sonne schiebt sich hinter die Altbaufassaden der Bergmannstraße, die meisten Kinder müssen jetzt nach Hause. Kurzhals schraubt die Sperrholz-Schanzen auseinander. Neureuter zieht "grundsätzlich eine positive Bilanz" des Straßenfestes. Schließlich seien noch Jugendliche des angepeilten Alters gekommen, und die Veranstaltung sei "eben kein reines Kinderfest" geworden. Emrah, der 13-jährige Rekord-Kistenkletterer, hat heute seinen Spaß gehabt. "Ich finde die Polizei eigentlich ganz gut", sagt er. "Nur nicht, wenn sie bei meinen Freunden geklaute Fahrräder findet."
Christian Domnitz

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