Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Dem Zeitgeist hinterher

Kathrin Röggla an der Oberfläche des "Neuen Berlin"

"wahrscheinlich drückt sich da gerade mal wieder so ein lebensgefühl aus", heißt es in Kathrin Rögglas neuer Prosasammlung Irres Wetter einmal, und das scheint die 1971 in Salzburg geborene Autorin auch zu hoffen, die mit diesem Buch nun endgültig angekommen ist im "Neuen Berlin". Das Feuilleton, das ja immer noch ganz versessen ist auf Bücher, die einen (vermeintlichen) Insiderblick versprechen auf das aufgeregte Leben in der Hauptstadt, hat es ihr jedenfalls gedankt. Die Ingredi‘nzi‘n: Love-Parade, Hackesche Höfe, "Tekknomaler" auf brandenburgischen Gutshöfen, SO 36, WGs von ehemaligen Linken. So stellt man sich das vor und so stellt Röggla ihren Lesern Berlin vor. Als Kontrastprogramm muß dann natürlich noch ein Spießer-Neukölln mit Kampfhunden her. So weit, so bekannt (siehe "Spiegel").

Röggla hechelt dem Zeitgeist hinterher, versucht ihn gleichsam aufzusaugen in ihrer munter vor sich hinplappernden Prosa. Da wird kein Schlag- oder Reizwort ausgelassen, da ist von Globalisierungsgewinnern die Rede, von Musikmoden und irgendwelchen Locations im Osten, von Schröders Wahlsieg und von Hausbesetzern - das alles soll als authentisch beglaubigt werden mit den ständig fallenden Namen von Straßen, Kneipen etc.

"die gleichzeitigkeit der welt findet ja nirgendwo mehr statt, und mal ehrlich, wer ist heute noch nicht durchgeknallt in ein anderes universum, paralleluniversen gibt es hier auch zuhauf, dazu die wahnsinnsmusik", so geht es dahin in Irres Wetter. Die Autorin betreibt eine erbarmungslose Mimesis ans Verblödete und Unreflektierte dieses zeitgeistigen Sprechens - und bleibt darin doch gefangen, immer an der Oberfläche, kann oder will nicht heraus aus dem Jargon. Der Text ist somit kein bißchen klüger als all diese Borniertheiten und Clichés, die in ihm vorgeführt werden sollen. Es reicht nur zu besserwisserischen Anmerkungen, die Insiderwissen marquieren sollen (80er Jahre, Ex-Studenten-Milieu etc.) Aber soll dieser Sprachmüll überhaupt als solcher vorgeführt werden? Vermutlich nicht. "ganz einfach, was man dekonstruiert hat, setzt man wieder zusammen, nur eben versetzt mit dieser ironie, die man jetzt so hat", heißt es in dem Text "neue ehepaare" zum Thema Heiraten, heute angeblich wieder angesagt. Der zitierte Satz ist typisch für Rögglas Schreiben: Eine Aussage wird sofort konterkariert durch die schablonenhafte Form, in der sie getätigt wird ("die man jetzt so hat"). Was übrig bleibt: alles oder nichts bzw. es ist ja egal, die reine Affirmation, wie der Adorno-Anhänger Stefan aus dem Kapitel "alte ehepaare" es auch ausdrücken würde, zum Gekicher der Chronistin. Weh tut das jedenfalls niemandem. Man mag sich in diesem modischen Geplapper finden oder sich davon distanzieren - was verschlägt´s? Jeder wie er will. Röggla tut natürlich nichts davon - "ironie, die man jetzt so hat", 90er Jahre eben.

"affirmationsblasen werfen, wäre eine möglichkeit", lesen wir und Irres Wetter ist eigentlich nichts anderes als eine große Affirmationsblase (167 S.) "aber hallo!" möchten wir mit der Autorin ausrufen, denn das ruft die Autorin gerne aus, aber eines ist natürlich klar: Auch diese Rezension könnte vermittels Kleinschreibung problemlos eingeschmolzen werden in den Plapper-Malstrom der Rögglaschen Prosa. Das po‘tische Programm, es steht auch im Text: "niemand weiß mehr, was geschieht, aber alle schreiben es auf." Auch Kathrin Röggla weiß es nicht und schreibt es trotzdem auf. Klüger wird man durch ihr Buch deshalb nicht.

Kathrin Röggla: Irres Wetter. Residenz Verlag, Salzburg 2000. DM 38

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