Ausgabe 01 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Lass es, Christoph!

Ein offener Brief an C. Schlingensief

Wir haben schon viele Peinlichkeiten von Dir erlebt, und es ist bekanntermaßen eine Armseligkeit, die eigene Peinlichkeit mit der Peinlichkeit noch peinlicherer Leute zur Kunstform zu erheben. Wir erinnern uns noch gut, wie Du im letzten Jahr mit Deiner schwachsinnigen "Chance 2000"-Kampagne u.a. die Arbeitslosenbewegung in den Dreck gezogen hast. Sei peinlich und doof, Du kannst es! Du hast die Dummheit ein Stück salonfähiger gemacht - tolle Geschäftsidee!

Nicht weniger armselig ist Deine "Deutschlandsuche"-Tournee und die "Kameradschaftsabende", die Du in Hamburg und zuletzt in der Berliner Volksbühne veranstaltet hast. Du findest es vielleicht aufregend, daß jetzt sogar Einsatzbereitschaft und Zivile der Polizei sowie diverse kahlrasierte Zeitgenossen Deine Veranstaltungen schützen. Da passiert was, das bringt Presseecho. Die Ankündigung eines "Abends mit rechten und gerechten Leuten" zum "2. deutschen Kameradschaftsabend" füllte die Volksbühne fast vollständig, das bringt Geld.

Was es Dir auch eingebracht hat, ist eine Anzeige wegen Volksverhetzung, nachdem Dein geistesgestörter "Vorzeige-Jude" Meir Mendelssohn seine Glaubensgemeinschaft zunächst mit Attributen wie "Scheiße, onanieren, rumhuren..." belegt hat und schließlich das Publikum dazu aufforderte, ihm "ganz normal und natürlich" nachzusprechen: "Judensau".


Dein rechter "Ehrengast", der nationalsozialistische Anwalt Horst Mahler, als konvertiertes Ex-RAF-Mitglied sowieso potentiell medienwirksam, verhielt sich auf der Bühne diesmal vergleichsweise ruhig, obwohl seine Statements vom Publikum niedergebrüllt wurden. Lag es vielleicht daran, daß seine beiden "Veilchen" nur mühsam übergeschminkt waren, die er sich eine Woche vorher in Frankfurt/Main zugezogen hatte? Dort meinte er, eine Antifa-Veranstaltung besuchen zu müssen, bei der über ihn und seine "Montagsdemonstrationen" informiert wurde. Immerhin hat Mahler in diesem Jahr wiederholt Alt- und Neonazis verschiedener Couleur zusammen auf die Straße gebracht. Die "Genossen" wollten also nicht mit diesem widerlichen Montagsmahler diskutieren und schmissen ihn nach einiger Prügel hochkant hinaus.

Es war wohl auch medienmäßig vielversprechend, den rechten Volltrottel Rainer Langhans einzuladen und ihm das Stichwort Tod anzubieten. Langhans, der einmal sagte, "Die Einbeziehung des Todes ist die ungeheure Lehre, die Hitler uns hinterlassen hat, und wir wagen noch nicht, sie genauer anzuschauen", war an diesem Abend wohl nicht so gut drauf, und hauchte irgendein wirres Zeug.

Sehr "spaßig" war auch Deine Idee, die Hinterbühne, wo Deine skurrilen Schwachköpfe und Deplazierten auf ihren Minutenauftritt warteten, "Das Lager" zu nennen und Dich fortan über das Leben in selbigen lustig zu machen: Man kann auch tanzen im Lager, es muß gerecht zugehen im Lager, kommt alle ins Lager, ha ha... Ein KZ-Überlebender hätte Dir für die miese Show ins Gesicht spucken können. Mit dem Publikum hast Du Dir später auch eine ordentliche Brise Buttersäuregestank ins "Lager" eingeladen. Dem blödsinnigen Gelaber Deiner "Lagerinsassen" tat dies ganz gut, denn es löste sich sehr bald in (frischerer) Luft auf.

Den ganzen Abend lang ein schwachsinniges Gebrabbel - wenn Du genau hingehört hast, handelte es sich zum Großteil um rechte Scharfmacherei. Daß auch ein NPD-Funktionär mitspielen durfte, konnte man schließlich, Dank Deiner genialen Idee, nur die Namen und nicht die Tätigkeit der Gäste zu nennen, aus der Zeitung erfahren. Tun sie Dir leid, diese potentiellen Massenmörder, die so selten in den Medien sprechen dürfen und so oft von bösen Linken beleidigt werden, daß Du rufen mußt: "Laßt uns reden, nur als Menschen!" So fand auch ein älterer Amateurhistoriker endlich einen Ort, stolz von seiner Mithilfe bei dem Zu-Fall-Bringen der "Wehrmachtsausstellung" zu berichten - nicht ohne gleich darauf von der Dummheit der Deutschen, sich ihre Verbrechen einreden zu lassen, zu schwadronieren. Leugnung des Holocaust? Egal, Hauptsache Show und der ganze Mist ist für die geplante TV-Ausstrahlung im Kasten.

Selbst wenn Du eine geniale Talkshow-Verarschung inszenieren wolltest und mit dem Abebben des üblichen Geklatsches bei Teilen des Publikums vielleicht einen gewissen Lerneffekt verbuchen kannst - den politischen Schaden, den Du durch die Medienpublicity für eine gewisse neu-rechte Strömung anrichtest, wiegt schwer. Der Zuschauer wird außerdem das Gefühl nicht los, Du hättest mal wieder eine neue Bewegung gefunden, an deren Spitze Du Dich im Rampenlicht sonnen kannst. Ganz der alte? Schluß damit!!!
gez.
die Schlingel

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