Ausgabe 01 - 2000berliner stadtzeitung
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Weißes Gewissen, schwarze Bilder

Als sich die Kolonialherren 1860 in der Handelsstadt St. Louis im Senegal auf glänzenden Daguerreotypien verewigen ließen, ahnten sie wohl nicht, daß gerade dieses Medium ihrer Eitelkeit sich eines Tages gegen sie selbst wenden würde. Die Fotografie wurde nämlich bald zu einem der beliebtesten künstlerischen Ausdrucksmittel der Afrikaner, wenn es darum ging, ein eigenes gesellschaftliches Selbstverständnis zu entwickeln. Die große Fotoausstellung "Porträt Afrika" im Haus der Kulturen der Welt setzt aus diesem Grund auch unmißverständlich ihren Schwerpunkt auf die emanzipatorische Energie der afrikanischen Fotokunst. Leider zu unmißverständlich. Denn ähnlich wie in der Anekdote vom deutschen Politiker, der in Afrika die Gäste begrüßt mit den Worten "Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, liebe Neger" wird auch hier, nur ungleich subtiler, eine Abgrenzung vollzogen. Mit betulichem Erstaunen wird in jedem der nach historischen Zeitabschnitten geordneten Bilderräume festgestellt, daß der Afrikaner sich selbst mutig des Mediums bedient habe.

Gezeigt werden Fotos aus den ersten von den Kolonialmächten eingerichteten Fotostudios. Poträts afrikanischer Frauen und Männer in folkloristischer Eintracht und Schönheit. Durch die Ausweispflicht wurden schließlich Paßbilder erforderlich, bei denen die afrikanischen Fotografen neue Spielräume ihres eigenen Blicks auf die Menschen entwickeln konnten. Der Bogen spannt sich in den weiteren Schauräumen von Aufnahmen in Jazz- und Swingkellern aus den fünfziger Jahren, tanzende, rauchende Nachtschwärmer im amerikanischen Stil, bis hin zu bedrückenden Milieustudien aus der Zeit der Apartheid. Innenansichten düsterer Wohnungen und Hütten. Die Bewohner nur noch als der Schattenumriss, der ihnen gesellschaftlich zugewiesen wurde. Einen Höhepunkt stellen die Bilder aus Fotostudios der achtziger Jahre dar, auf denen sich Afrikaner vor mit westlichen Statussymbolen bemalten Wänden ablichten ließen. Die westliche Welt ist aber derart schräg und surreal dargestellt, daß die Sehnsucht danach zugleich die Entlarvung der Glücksvorstellung mitliefert. Dabei wird in jedem der Schauräume auf kleineren oder größeren Tafeln betont, daß hier sehr individuelle, eigenständige Sichtweisen auf den Kontinent entstanden sind. Die Frage ist, ob man bei Fotografen aus anderen ex-kolonialen Gebieten der Welt auch mit solcher Eindringlichkeit auf die Mündigkeit ihres Ausdrucksvermögens hinweisen würde? Wohl kaum. Das Vorurteil, Afrika brauche eine pädagogisch-sensible Behandlung, ist nichts weiter als die Neurotik einer europäischen Pseudo-Gewissenskultur, die so gern Mißverständnisse vermeiden will und gerade dadurch welche produziert. So erklärt sich auch die Tatsache, daß bewußt auf Fotografien verzichtet wurde, die die Problematik von AIDS, Hungersnot und Bürgerkrieg auf dem Kontinent zum Thema haben. Die Begründung lautet: Das seien ja ohnehin die Bilder, die durch die Nachrichten unser Bild von Afrika prägen. Was bedeutet, daß sie nur ein Klischee sind. Die Konsequenz daraus, einfach keine afrikanischen Künstler auszustellen, die mit ihren Fotos und ihrer Kunst dieser sozialen Realität auf den Leib rücken, ist ein artiger Zynismus. Afrika muß es ja auch einmal gestattet sein, sich die "Moderne progressiv anzueignen", wie es auf einer der Tafeln heißt.

Dennoch, wie so oft, haben die Bilder eine stärkere Kraft als das Umfeld, für das sie im Gebrauch sind. Die Fotografien aus Afrika zeigen Gelungenes wie Mittelmäßiges in einer eigentümlichen Leichtigkeit. Auf der Suche nach jenen Motiven, die in der Lage sind, die unmittelbare Realität in den Körper eines Bildes zu übersetzen, ist der afrikanische Fotograf wie jeder andere auch nur seinen Erfahrungen, seinem Können und seiner Begeisterung verpflichtet. Daß die Geschichte seiner Kultur und seines Kontinents dabei immer als schwieriger Hintergrund auftaucht, können und müssen allein die Fotos zeigen, nicht die Tafeln daneben.
Gernot Wolfram

Die Ausstellung "Porträt Afrika" ist noch bis zum 12. März im Haus der Kulturen der Welt zu sehen.

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