Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
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Gehasstes Denkmal sucht nach Akzeptanz

Das Buch "Die Berliner Mauer heute" versucht den Wert der Mauerreste zu verdeutlichen

Zehn Jahre nachdem die ersten Löcher in die Berliner Mauer geschlagen wurden, ist von dem gigantischen Bauwerk nicht mehr viel übrig. Mit rasendem Tempo wurde ab 1990 die verhasste Mauer abgerissen. Die Schar derer, die Teile der Mauer als Denkmal erhalten wollten, war verschwindend gering. Bald waren nur noch Reste vorhanden. Sechs Teilabschnitte sind heute denkmalgeschützt, doch ihr Erhalt ist immer noch umstritten.

In ihrem zweisprachigen Buch "Die Berliner Mauer heute / The Berlin Wall Today" versuchen die Autoren Polly Feversham und Leo Schmidt, den Denkmalwert der Mauer zu vermitteln, der weder mit ihrer ästhetischen noch bautechnischen Bedeutung, sondern mit ihrer historisch-politischen Dimension begründet ist. In der sehr unterschiedlichen Wahrnehmung der Mauer dominiert die Westperspektive: Die allgemein mit der Mauer assoziierte Vorderlandmauer haben DDR-Bürger praktisch nie zu Gesicht bekommen.

Doch von den noch stehenden Fragmenten der Mauer sind nur noch in der Niederkirchnerstraße und in der Bernauer Straße Teile des "vorderen Sperrelements" vorhanden. Von den übrigen Bestandteilen der Grenzsicherungsanlagen sind an verschiedenen Stellen noch Kolonnenwege, einige Wachtürme und Reste der Hinterlandmauer übrig - mehr als man glaubt. "Man sucht kaum noch, weil man überzeugt ist, dass nichts mehr da ist", meint Autor Leo Schmidt, Denkmalpflegeprofessor an der TU Cottbus, der für das Buch im Frühjahr 1999 eine Bestandsaufnahme der erhaltenen Mauerabschnitte durchgeführt hatte.

Dass die spärlichen Reste eines monströsen Bauwerks, das 28 Jahre lang die Stadt in zwei Hälften und die Welt in zwei Lager gespalten hatte und darüber hinaus eine touristische Attraktion ersten Ranges war (und immer noch ist), erhaltenswert ist, dürfte eigentlich außer Frage stehen. Doch noch im Juni 1992 verkündete das Berliner Abgeordnetenhaus: "Wenn ein Herrschaftssystem verfällt oder gestürzt wird, verlieren die von ihm geschaffenen Denkmäler, soweit sie zur Legitimation und Festigung des Herrschaftssystems dienten, grundsätzlich ihre Existenzberechtigung." Diese bilderstürmerische Haltung macht deutlich, dass eine Versachlichung der Diskussion nötig ist. Die hitzige Debatte um die Konzeption der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße zeigt, dass die Mauer auch heute noch ein "Stein des Anstoßes im besten Sinne" ist, wie Berlins Landeskonservator Jörg Haspel meint.

Die Einfassung eines 60 Meter kurzen Mauerabschnitts von zwei noch höheren Mauern darf keinesfalls dazu führen, dass man sich der übrigen Mauerreste entledigt und sie zur Geschichtsentsorgung gibt.
js
Polly Feversham/Leo Schmidt: Die Berliner Mauer heute / The Berlin Wall Today - Denkmalwert und Umgang, Verlag Bauwesen, Berlin 1999, 192 Seiten, 49,80 DM

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  Ausgabe 12 - 1999