Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
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"Überdies können wir nicht ins Alte zurück..."

"Berliner Labyrinth, neu besichtigt" von Tilmann Buddensieg - Stadtgestaltung im Geschichtszusammenhang aus konservativ-moderner Perspektive

Die Berliner Architektur und Stadtplanung legte in den neunziger Jahren einen beachtlichen Spagat hin: Allenthalben wird das "Neue Berlin" beschworen, andererseits kommt kaum ein Bauvorhaben ohne ein vermeintlich rühmliches historisches Vorbild aus. Was dabei herauskommt, ist meist weder irgendwie neu oder historisch, sondern altbacken.

Mit seinem neu bearbeiteten "Berliner Labyrinth" stellt der Kunsthistoriker Tilmann Buddensieg das heutige Baugeschehen in einen geschichtlichen Zusammenhang. Schinkel, Behrens, Messel, Taut und Mies van der Rohe sind als Vertreter fortschrittlichen Bauens ihrer Zeit Buddensiegs Orientierungsmarken im Berliner Labyrinth. Dass Schinkel als eine Art "Erzvater" heute zum Maßstab für Gestaltungssatzungen und Traufhöhendogmatismus erklärt wird, ist für Buddensieg völlig abwegig. Schinkel selbst hatte sich seinerzeit überhaupt nicht um ein Einfügen seiner Bauten in das vorhandene Stadtbild gekümmert. Er hatte sogar mit gezielten Stilbrüchen die preußisch-barocke Gleichförmigkeit der Straße Unter den Linden zerstört. Heute mit der Vorschrift von Fassadenmaterialien und -proportionen modernes Bauen zu verhindern, wie es beim Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz versucht wurde, steht jedenfalls nicht in Schinkelscher Tradition.

Als konservativer Modernist fordert Buddensieg "selbstverständlich" die Wiederaufstellung der preußischen Generalsstatuen an ihren alten Stand-orten neben und gegenüber der Neuen Wache. Er scheut auch nicht vor der Forderung zurück, das Brandenburger Tor wieder weiß zu streichen. Um Marmor zu imitieren, wurde der Sandstein ursprünglich geweißt - erst 1956 wurde die Farbe endgültig entfernt. Angesichts der sich heute mehrspurig durch das Tor schiebenden Autokolonnen hielte die weiße Pracht aber wohl nicht lange: Ruß und Abgase würden bald eine schmuddelige Färbung erzeugen, die sicher noch unansehnlicher wäre als das heutige Naturgrau.

Die Sprengung des Stadtschlosses 1950 nennt Buddensieg ein "Verbrechen" und dem Palast der Republik bringt er keinerlei Sympathie entgegen, aber den Wiederaufbau des Schlosses befürwortet er deshalb noch lange nicht. Buddensieg stellt seinem Buch ein Nietzsche-Zitat voran: "Überdies können wir nicht ins Alte zurück, wir haben die Schiffe verbrannt."
js

Tilmann Buddensieg: Berliner Labyrinth, neu besichtigt, Wagenbach, Berlin 1999, 224 Seiten, 22,80 DM

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