Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
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Strohfeuer in der Landeskasse

30 000 städtische Wohnungen stehen zum Verkauf

Der erneut gebildete CDU/SPD-Senat hat sich in seiner Koalitionsvereinbarung zum Verbleib von 300 000 Wohnungen bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften bekannt. Das klingt gut, bedeutet aber von der anderen Seite betrachtet, dass etwa 130 000 städtische Wohnungen zum Verkauf freigegeben sind, also fast ein Drittel des heutigen Bestandes. Der Senat wird demnach den Ausverkauf städtischer Wohnungsbaugesellschaften fortsetzen und damit sozialpolitische Handlungsmöglichkeiten aufgeben.

Trotz Sparens wurde Berlins Haushaltsdefizit kaum geringer. Durch die Abkehr vom Fugmann-Heesing-Kurs und die Übernahme des Finanzressorts durch die ausgabefreudigere CDU wird der Zwang zur "Vermögensaktivierung"eher noch größer. Mit Bewag, Gasag und den Wasserbetrieben ist schon viel Tafelsilber vermarktet worden. Nun soll es den Wohnungsbaugesellschaften offenbar im größeren Stil an den Kragen gehen.

Das "kommunalpolitische forum" hat in einer Studie deren Steuerungspotentiale für die Berliner Wohnungspolitik erforschen lassen. Die Wohnungsbaugesellschaften sind für das Land Berlin eigentlich profitabel: Seit 1994 kamen von ihnen nach Angaben des Verbandes Berlin-Brandenburger Wohnungsunternehmen 1,9 Milliarden Mark in den Landeshaushalt. Der Verkauf brächte nur kurzfristig viel Geld in die Kasse, auf lange Sicht werden die Einnahmen fehlen. Max Welch Guerra, Autor der Studie, nennt das einen "fiskalpolitischen Strohfeuereffekt".

Zudem wäre der Zeitpunkt für einen Verkauf sehr ungünstig: Die Preise sind im Keller, Plattenbaubestände wären derzeit nahezu unverkäuflich. Der Senat gäbe auch ohne Not ein sozialpolitisches Steuerungsinstrument aus der Hand. Die städtischen Wohnungsgesellschaften haben einen starken Einfluss auf die Mietentwicklung. Da sie Mietsteigerungsmöglichkeiten meist nicht bis zum Letzten ausreizen, wirken sie mäßigend auf das Mietspiegelniveau ein. Durch die Belegungsbindung haben auch schwache Haushalte auf dem Wohnungsmarkt eine Chance. Wer übernähme diese Aufgaben der Wohnungsgesellschaften und wer trüge nach einem Verkauf die sozialen Folgekosten?

Als Alternative zur Aufgabe der sozialen Wohnungspolitik müsste der Studie zufolge die Funktion der Wohnungsbaugesellschaften optimiert werden. Dadurch könnten sie wieder zu einem "Eckstein sozialstaatlicher Wohnungsbaupolitik"werden. Der baupolitische Sprecher der PDS, Bernd Holtfreter, fordert hingegen, dass eine Privatisierung von Wohnungen nur noch an Genossenschaften erfolgt. Dazu müssten aber die Genossenschaften Privaten gleichgestellt werden. Eine dementsprechende Förderung von Genossenschaften wurde in diesem Jahr vom Senat beschlossen, taucht aber im Koalitionsvertrag nicht auf.
Jens Sethmann

© scheinschlag 2000
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