Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Oase der Ehrlichkeit

Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett

Gute Literatur. Tiefsinn. Unsinn. Dandytum. Ironie als Rache am Holocaust-Gedenkernst der letzten 50 Jahre. Dummheit. Oder einfach nur Ohnmacht: Es sind in aller Munde fünf arrogante, schnöselige Pseudo-Arschlöcher, fünf junge Schriftsteller, die sich drei Tage lang im Hotel Adlon "eingesperrt" und sich gezwungen haben, über Themen zu sprechen, die scheinbar niemanden interessieren. Die ihre Debatten in einem Buch dokumentiert haben, das ohne Umschweife und Koketterie deutlich macht, daß sie die Menschen verachten und deshalb keine Lust auf die Findung ihres Selbst haben. Weil sie dafür nur intellektuelles Kopfschütteln ernten, kommen wichtige gesellschafts- und kunstphilosophische Fragen auf: Kann an dieser Unlust Kritik ansetzen? Wird hier aus der Not, der Angst vor der Selbsterkenntnis, eine Tugend gemacht, die als Kunst daherkommt? Wenn ja, was ist daran verwerflich?

Obwohl das Buch auf keinem theoretischen Konzept zu basieren scheint, das um diese Fragen kreist, geben die Autoren in ihrer angeblich oft lustlosen Auseinandersetzung mit - neben vielen anderen - Fragen zum Lebensstil eine Antwort darauf: Sie betten einfach ganz viel Glanz und Blendwerk um sich und geben bei jeder Gelegenheit Details zu ihren Designeranzügen preis. Ob sie das aus Eitelkeit, Selbstironie oder aus versnobter Blödheit tun, ist letztendlich egal. Und weil vor allem Stuckrad-Barre in Interviews gern herumalbert und es entschieden von sich weist, ein "Sprachrohr der Jugend" zu sein, ist anzunehmen, daß hier keine Blödheit im Spiel ist. Vielmehr die Absicht, die Wirklichkeit zu interpretieren, indem der Kommentar verweigert wird - ein Angriff auch auf den manipulationsfähigen Was-meint-der-Künstler-zu-seinem-Werk-Journalismus.

Die fünf Schriftsteller, Journalisten, Drehbuchautoren, etc. haben also drei Tage in einer Luxussuite des Adlon herumgehangen und über dieses Sein und Schein in der Medienwelt sinniert. Und das war weder dumm noch konsequent klischeehaft - danke für die differenzierte Diskussion der Homosexuellensituation - und viel realitätsbrutaler als die empirischen Untersuchungen kommunikationswissenschaftlicher Fachzeitschriften - die makrostrukturelle Erkenntnis, daß wirklich alles in diesem kleinen Leben eine hübsche kleine Inszenierung ist, wurde gleich mitgeliefert. Außerdem die niedliche Hoffnung, daß die Rolle des arroganten Arschlochs ein möglicher Weg ist, der Langeweile zu entkommen - oder daß dadurch überhaupt jemand anfängt, sich über das Arschlochtum zu mokieren.

Dabei haben die Autoren ganz vergessen, so zu tun, als könnten sie mit ihrer Diskussion die Welt verändern - Das aber war kein Problem, andere standen ihnen da sofort hilfsbereit zur Seite. Und weil die fünf wissen, daß ihr amerikanischer Kollege Bret Easton Ellis auch andauernd mißverstanden wird, haben sie in der Bar jeder Vernunft ganz viele freundliche Ironiehinweise gegeben: haben ihre Texte ganz artifiziell gesprochen und sind ohne Jacketts und Christian Kracht sogar in Strandklamotten zur Lesung angetreten. Oder haben sie etwa gemeint, sie sähen wirklich so gut aus wie die fünf aus ihrem Buch - und damit ihre eigens aufgestellten Klischees als Mystifikation entlarvt? Und uns damit eine noch größere Freude gemacht, weil wir noch lauter lachen konnten - und zwar über alle Beteiligten.

Die einzig mögliche Konsequenz aus den 90ern also: ein kathartischer Dadaismus, der nie mehr verspricht, als er halten kann. Eine Oase der Ehrlichkeit.
Claudia Gabler

Joachim Bessing (Hg.): Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg und Benjamin von Stuckrad-Barre. Ullstein 1999, DM 22.

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 12 - 1999