Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
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Das Diktat des Ästhetischen

Indianer Nordamerikas im Ethnologischen Museum in Dahlem

Mit Objekten anderer Kulturen ist das so eine Sache. Sind sie ästhetisch ansprechend, lassen sie sich sowohl als Kunst wie auch als Ethnografika ausstellen. Das Erstaunliche dabei ist die vollkommene Materialredundanz. So bemisst sich der Wert einer Maske nicht per se, sondern allein aus dem Kontext, in den sie gestellt wird - und der mit dem ursprünglichen nichts zu tun haben muss. Will man ihren ästhetischen Wert betonen, enthält man sich in der Regel groß angelegter Erklärungen zu Gebrauch und rituellem Hintergrund. Unten in Dahlem haben die Kuratoren sich für Letzteres entschieden.

Klischeerevision

Im ersten Teil der Ausstellung wird eine längst fällige Revision des gängigsten Indianerklischees unternommen: der mit Federschmuck bekleidete Krieger, stolz und hoch zu Ross. Ein Bild, das wir Karl May und seiner Winnetou-Trilogie sowie etlichen Hollywood-Filmen zu verdanken haben. Andere Klischeebearbeitungen schließen sich an, etwa das vom "Öko-Indianer", der noch im Einklang mit seiner Umwelt steht, oder das des Vertreters einer "sterbenden Rasse". Einige der unterschiedlichen Facetten dieses "Mythos" werden gründlich revidiert: So tragen überhaupt nur die Stämme aus dem sogenannten Prärie- und Plains-Gebiet den typischen Kopfschmuck aus Adlerfedern und dies auch erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Mokassins hingegen findet man bei allen Stämmen. Auch das Pferd ist nichts Urprüngliches. Es fand erst im 16. Jahrhundert nach Nordamerika und zwar aus Spanien über Mexiko kommend. Andere Facetten des Mythos dagegen werden nicht plausibel erklärt. Um z.B. das Bild des "Öko-Heiligen" zu revidieren, genügt es nun mal nicht, die Vereinnahmung durch die Hippiebewegung anzuführen. Losgelöst aus den transzendentalen religiösen Zusammenhängen erklärt das über Zustandekommen dieses Bildes schlicht gar nichts.

Den "Indianer" an und für sich, soviel hat man immerhin gelernt, gibt es also genausowenig wie einen ursprünglichen. An dieser Stelle dann den Begriff "Indianer" überhaupt zu begraben (etwa an der Biegung des Flusses), wäre nur konsequent gewesen. Stellt er doch eine Bezeichnung eines Kolonisatoren für ein ganz anderes Volk, die Inder, dar. Eine vertane Chance.

"Indianer heute"?

Hauptsächlich mit Hilfe von Fotos wird im zweiten Teil dann das Leben der "Indianer heute"(sic!) erklärt. Da hört man dann Altbekanntes: Vom Leben in der Reservation, von Schulen nach "westlichem" Muster und dass es viele aus Arbeitslosigkeit in die Stadt treibt. Wie repräsentativ diese Bilder sind, bleibt offen, die wirkliche Lebenssituation bleibt diffus. Mit Befremden liest man, dass "für die aktuelle Situation Bilder von betrunkenen Indianern nicht typisch" seien, gleichzeitig wird aber eine Bierdose ausgestellt, die auf einem durch "Indianer"-Gebiet verlaufenden Highway gefunden wurde. Somit wird metonymisch - ein Objekt steht stellvertretend für die gesamte Kultur - ein Bild eingeholt, das es eigentlich zu differenzieren galt.

Vielfalt wird dann in fünf regionalen Abschnitten, so genannten Kulturarealen, wenigstens ausschnittweise geboten. Von der rund 30 000 Objekte umfassenden Sammlung sind hier gut 600 versammelt. In der Folge sieht man im Bereich Prärie und Plains herrliche Federhauben, erstaunlich gut erhaltene Lederhemden sowie ein ganzes Pferd in Paradeaufzäumung. Mit Kafka teilt man schnell den "Wunsch, Indianer zu werden". Im Bereich Südwesten, bei den Pueblos, gibt es eine hinreißende Auswahl der von Max Ernst so verehrten Katchina-Figuren sowie wunderschöne, geometrisch verzierte Flechtkörbe vom Anfang dieses Jahrhunderts. Die Kwakiutl an der Nordwestküste sind in der Folge besonders durch geschnitzte Holzmasken vertreten, im Bereich Arktis schließlich bestaunt der Besucher großartige, aus Darmhaut von Meeressäugern gefertigte "Regenmäntel". Die Ausstellung beschließt ein Teil über moderne "Indianische Malerei".

Segnung durch Alibi-Indianer

Insgesamt hat man sich bei der Auswahl an "ästhetisch besonders ansprechende Stücke" gehalten, der erste Teil übernimmt damit nur noch Alibifunktion. Jetzt wird auch klar, warum man das "bewährte" Konzept der Kulturareale gewählt hat. Wann, wie und wo es sich bewährt hat, wird jedoch verschwiegen. Denn so umgeht man Lücken, die eine vergleichende Ausstellung, etwa von religiösem Leben, Architektur, Kunst oder Spiel der einzelnen Kulturen offengelassen hätte. Damit stehen die durchaus wunderbaren Stücke für die Geschichte des Sammelns - wohlgemerkt eine europäische Geschichte. Das wird besonders klar, wenn man auf Tafeln die Geschichte des großen Sammlers Johan Adrian Jacobsen oder des Museumsgründers Adolf Bastians nachlesen kann.

Bei der Eröffnung wurde von einer politischen Austellung gesprochen, "da man eine andere Kultur ausstelle". Politisch wäre es vielleicht eher gewesen, die geplante Umsiedlung eines Hopi-Stammes anzuprangern. Die von den Kuratoren eingeladenen Vertreter eines Blackfoot-Stammes, die in voller Montur die Ausstellung mit einer Segnungszeremonie adelten, wirken daher eher wie ein Alibi. So lässt man sich das Akkumulieren von Objekten gewissermassen sanktionieren.
Wir bedanken uns und schalten zurück ins 19. Jahrhundert.
Enno Zorn

Völkerkundemuseum/Ethnologisches Museum, Lansstr. 8, U-Bhf. Dahlem-Dorf, Di-So 10-18 Uhr. Information zur aktuellen Lage: http://www.hopi.nsn.us und http://www.naaog.de

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  Ausgabe 12 - 1999