Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
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Auf harmonische Weise einsam

Fernando Pérez´ Tragikomödie "Das Leben, ein Pfeifen"

Menschen in Havanna, auf der Suche nach dem Glück: Julia (Coralia Veloz), eine Altenpflegerin, die in Ohnmacht fällt, wenn sie das Wort "Sex" hört und unter scheinbar unerklärlichen Gähn-Attacken leidet. Die Ballettänzerin Mariana (Claudia Rojas), die die Körper junger Männer begehrt, sich vor Gott aber gegen sie und für die Rolle der "Giselle" entscheidet. Elpidio (Luis Alberto Garc’a), der als Kind von seiner Mutter verlassen wurde, weil er nicht nach ihren Wünschen geriet, und darauf wartet, daß sie ihm endlich ein Zeichen sendet.

Und dann sind da noch die Weggefährten der drei. Die nehmen sie an die Hand, obwohl sie den Weg selbst nicht so genau kennen: der Psycholge Dr. Fernando, die Meeresbiologin Chrissy, der Tänzer Ismael und ein Taxifahrer, der als Deus ex machina verkündet: "Das Leben passiert immer dann, wenn man mit anderen Dingen beschäftigt ist."

Und Bebé, die als Kind aus dem Waisenheim geworfen wurde, weil sie sich weigerte zu sprechen. Jetzt sitzt sie am Strand oder taucht im blauen Wasser und erzählt all diese Geschichten um Mariana und die anderen. Sie scheint sie selber erfunden zu haben. Oder ahnt sie zumindest voraus; beobachtet sie wie mit halb geschlossenen Augen, führt alles zusammen oder erklärt. Und entlarvt letztendlich das Schicksal als Zufall und Gott als unzuverlässigen Freund. Bebé erzählt dabei auch ihre eigene Geschichte, vielleicht ohne es zu wissen. Am Ende sitzt sie selbst an der Strandpromenade von Havanna und teilt allen Glücksuchenden mit: "Jetzt bin ich Gott" und ordnet für alle unbekümmertes Pfeifen bis zum Jahr 2020 an. Um uns dann zu zeigen, daß auch ihr Pfeifen nur scheinbar unbekümmert ist, und damit das Glück per Dekret als Irrweg entlarvt. Und um zu zeigen, daß der Satz, mit dem sie sich dem Zuschauer am Anfang des Films vorstellt, vielleicht doch der Schlüssel zum Glück ist: "Ich bin einsam, aber auf harmonische Weise einsam."

"Das Leben, ein Pfeifen" ("La Vida Es Silbar") ist der einzige lange Spielfilm, der 1998 auf Kuba gedreht und produziert wurde, ein Film des kubanischen Regisseurs Fernando Pérez. Ein komisch-tragischer Geschichtenreigen, ein Stilgemisch von großer Ästhetik, das trotz seiner vielen tragischen Momente soviel Wärme und Optimismus versprüht, daß man ihn als eine melancholische Liebeserklärung an Havanna oder an das Leben überhaupt verstehen muß. Und weil hier alles auch ein bißchen absurd oder wie im Märchen ist, ist dieser Film nicht nur ein großer Schritt weg vom traditionell-realistischen kubanischen Kino hin zum surrealistisch-metaphorischen. Der Film schafft seine eigene Wirklichkeit, die trotz der angestrengten Suche der Protagonisten nach Glückseligkeit durch die komischen Elemente wieder optimistisch macht. Dabei lachen wir nicht nur über Julias Gähnattacken oder die Ohnmachtsanfälle der Passanten, wenn Dr. Fernando "Opportunismus", "Heuchelei" und "Angst vor der Wahrheit" über den Platz schreit, auch wenn das in Kuba nicht ungefährlich ist. Wir lachen auch nicht nur über uns selbst, weil diese verdammte Suche nach dem Glück uns alle angeht, sondern wir lachen vor allem über das Absurde der Liebe, der Besessenheit, der Eitelkeit des Gottesglaubens, des Kommunismus, über das Absurde des Lebens an sich.
Claudia Gabler

Das Leben, ein Pfeifen", Kuba 1998
Regie: Fernando Pérez, mit Claudia Rojas, Luis Alberto Garc’a
Kinostart: 20. Januar

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