Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
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Infojunkies auf Truthahn

Wenn es auf dem Infotainment-Karusell unser aller Hauptstadt so etwas wie eine heilige Kommunion geben sollte - spirituell, gemeinschaftlich - dann muß es sich um folgendes Phänomen handeln: Werktags kurz nach drei. Eine Armada akut unter-informierter Menschen aller Couleur, Trockenbauer, Galeristen, Germanistikstudentinnen etc. hastet im urbanen Gleichschritt Richtung Bahnhof, sagen wir: Friedrichstraße, auf dem Weg nach Hause, zum nächsten Briefing oder zum Oberseminar. Die Morgenzeitung haben die Rastlosen längst zerfleddert in den Müllkübeln versenkt, die Info-Flaute des Berliner Nachmittags färbt manche Wange grau, die Blicke sind starr. Die Stadt ist auf Turkey. Doch dort, wo die Masse durch den Fleischwolf muß, am Bahnhofeingang, dort wartet der Dealer, der Pastor, mit druckfrischer Information. Die Kolonne defiliert vorbei, in jede flehende Hand sinkt eine Zeitung, immer mit dem zackigen Segen: "15 Uhr aktuell!" Das traditionelle Echo der Gläubigen "Amen!" wurde gestrichen, der Deal hier - im Titelkopf steht«s - scheint aber ebenso günstig: "Kostet sie nur ein Lächeln." Nur! Potzblitz. Ein beinah faustischer Handel. Was die wohl damit anstellen?

Zunächst mal: Gewissermassen gehöre ich auch dazu. Zu den Info-Junkies, der Gemeinde der willenlosen BVG-Kunden, die bei der Parole "15 Uhr aktuell!" automatisch die Hand ausfahren. Sogar zu jenen, die fantasierten, daß in der Stadt der Mosses und Ullsteins - in der die Vossische Zeitung, Tageblatt und Co. vor hundert Jahren Zeitungsmythen begründeten und bis zu drei Ausgaben täglich die Rotationen verließen - dass gerade hier eine Nachmittagszeitung eine gewisse nostalgische Erotik verströmen könnte.

Die Keep-Smiling-Gazette, als ambitioniertes Projekt abseits der Großverlagskartelle von zwei Computerunternehmern in Berlin gestartet und mittlerweile auf Hamburg und München ausgeweitet, wurde von den Etablierten, zumindest der Qualitätspresse mit nachhaltigem Wohlwollen begrüßt - und mit Schadenfreude: Denn Springer reagierte auf die Kostenlos-Attacke am Boulevard mit juristischen Aktionismus, der prompt in die Hose ging. Eine pfiffige Erfolgsstory fand auch die taz, und erteilte das Gütesiegel: Bei "15 Uhr aktuell" handele es sich durchaus um ein Blatt, das den Namen Zeitung verdiene (taz 25.3.99). Ganz gleich, welches Label dem Druckwerk nun angeheftet wird: Die sympathische Geschäftsidee hat sich klammheimlich zur alltäglichen Nachmittagspredigt gemausert. "Fast jeder nachmittägliche Heimfahrer hat die grün-weiße Zeitung in der Hand", recherchierte die Berliner Zeitung bereits am 23.04.99. Unergründet blieb, wie vielen davon bei dem täglichen Schweinsgalopp durch den Setzkasten die Sinne schwinden. Denn: was da so massiv in die Berliner Alltagskultur eingebrochen ist, erweist sich als publizistisches Ärgernis ersten Ranges.

Ab 15 Uhr wird zurückgelächelt. Die Buchstaben tanzen, und die schläfrigen Augen des Pendlers staunen Bauklötze. Gar fidel künden die Headlines: "Porsche froh - Ex-Zwangsarbeiter bekommt nichts" (24.11.) - da atmet die ganze Nation doch gleich mal durch. Und gerührt nehmen wir zur Kenntnis: "Bill Gates hilft Kindern in der dritten Welt" (24.11.). Gern stimmt da auch der ärmsten Schlucker in den Hilferuf des SAP-Konzerns ein ("Mehr Kapital!" Überschrift am 3.12.) und spitzt die Feder, um den Leser-Aufsatz-Wettbewerb "Der netteste Vermieter" (17.11.) zu bereichern. Da feixt der Immobilienhai.

Auf dem Ticket der Extra-Blatt-Wichtigkeit werden komplexe Interessenlagen und soziale Mißstände mal eben als piefige Kumpelshow zelebriert. Das Böse gibt es natürlich auch, und es wird auch so genannt: "Böser Krieg" (7.12.) kommentiert "15 Uhr" das Bild eines toten Tschetschenen, da wird selbst die Bild-Zeitung blass vor Neid, die tags darauf (das selbe Foto) geradezu pietätvoll mit "Grausames Ende" unterschreibt. Gewalt im Tele-Tubby-Format (vgl. auch: "Frau haut Mann" am 3.12.) - ein Konzept, auf das Springer noch keine Antwort hat.

Wer solche Stilblüten raushaut, mißtraut natürlich dem Rohmaterial der Agenturen, weil, so Redakteur Alexander Zinn gegenüber der Berliner Zeitung "den Agenturstil niemand lesen kann". Wen wunderts, die schreiben meist für Erwachsene und verkneifen sich Überschriften wie "Schwuler Eskimo ärgert Frauen" (16.11.).

Bei dem radikalen Lügenblatt "Neue Spezial", das vor Jahren mit Stories a la "Elvis auf dem Mond gesichtet" für Furore sorgte, war wenigstens darauf Verlass, dass der Quatsch strigent erzählt wird. Andersherum macht es die "15 Uhr aktuell": Zum Tschetschenien-Feldzug (durchaus kein Quatsch) titelt sie "Krieg: Russen bleiben stur" um dann im ersten Satz des selben Artikels (dem Aufmacher!) zu trompeten: "Erleichterung bei westlichen Diplomaten und Politikern in Istanbul: Die Russen haben nachgegeben!" (19.11.). Darauf muß man erstmal kommen! Ein journalistisches Husarenstück für alle, die nichts mehr auf den Begriff bringen, aber jeden Tag mit Worten basteln dürfen.

Oder hat da, wie man einwenden könnte, der böse Fehlerteufel zugeschlagen? Der Preis der Aktualität? "15 Uhr aktuell" muß sich an Folgendem messen lassen: Zum einen der Tatsache, täglich von tausenden Berlinern als Zeitung genutzt zu werden, wobei es zweitrangig ist, ob das Erzeugnis diese Bezeichnung verdient oder nicht. Zum anderen daran, daß dieses Elaborat tagtäglich penetranten Alltagsimperialismus auf dem Feld der Stadt-Kultur betreibt. "15 Uhr aktuell" ist chronisch präsent, und zwar als Zeitung. Das ist die Meßlatte für die Edelfedern: Bigotte und strunzdumme Praktikantenprosa im Stile von "Deutsche erforschen Asiens Brüste" (19.11.) verweist weniger auf Schludrigkeit oder Produktionsdruck sondern ist systematisches Stilmittel eines auf Lockerheit getrimmten Stammtisch-Chauvinismus.

Ein trojanisches Pferd klemmen sich die Infotainment-Süchtigen täglich unter den Arm, die feierabendliche Vollnarkose für Intellekt und Witz. Die distanzierte Urteilsfähigkeit der meisten LeserInnen soll keinesfalls bezweifelt werden, den durchblickermäßigen Alarm "Vorsicht! Schlechte Qualität!" könnte man sich sparen. Was schockt ist, daß ein zweifelhaftes Meinungs-Produkt so verführerisch, so anbiedernd und so gut verpackt darangeht, massenhaft Raum und Menschen zu okkupieren. Die "neue Ära in der deutschen Zeitungsgeschichte" (PR-Text "15 Uhr aktuell") - wahrscheinlich entsprungen aus einer Broschüre namens tausendundeine lustige Geschäftidee, wahrscheinlich die Ära des Lächelns, wahrscheinlich bis auf alle Zeit ein tägliche Prüfung - wird wohl die Ära der Meinungsgiganten sein: "Aber hier zu Lande wird Korruption eher entdeckt als in Diktaturen" analysiert der "15 Uhr"-Kommentator die Parteispendenaffäre am 7.12. und resümiert treffend: "Gut so." Für alle Tele Tubbies: Winke Winke.
Klemens Vogel

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