Ausgabe 11 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Auf der anderen Seite der Brunnenstraße

Modernisierungsterror in der Nummer 7

Der Ratschlag, auf keinen Fall auszuziehen, wenn die Modernisierung des Hauses angekündigt wird, ist gut gemeint. Die meisten Mieter flüchten trotzdem so bald wie möglich vor Dreck und Lärm. Auch den Auseinandersetzungen mit dem Hausbesitzer ist nicht jeder gewachsen. Sobald die Häuser nicht mehr im Sanierungsgebiet liegen, kann die Durchsetzung der Mieterrechte um einiges schwieriger sein. Und Nerven kostet eine Modernisierung allemal.

Kennt man die Vorgeschichte des Gebäudekomplexes Brunnenstraße 6/7, sind sogar Nerven wie Drahtseile gefragt, wenn man während der Modernisierung Mieter im Haus bleiben will. Dieser Abschnitt der Brunnenstraße liegt nicht mehr im Sanierungsgebiet. Ein spektakulärer Höhepunkt war vor einem Jahr erreicht, als die Bauarbeiten in einem Seitenflügel unter Polizeischutz begannen: zwei Hundertschaften Polizei einschließlich Sondereinsatzkommando waren mit den Bauarbeitern angerückt, die die Fenster zumauerten und zusätzlich mit Sitex-Platten versiegelten.

Seit September wird das Vorderhaus der Brunnenstraße 7 modernisiert. Zwei Mietparteien sind dort übriggeblieben. Die eine ist mit drei Kindern zunächst eigenständig aus ihrer 4-Zimmerwohnung aus dem vierten Stock in den zweiten Stock umgezogen: in eine 3-Zimmerwohnung und zunächst auch nur zur Untermiete. Als der Hauptmieter dort ausgezogen ist, wurde diese Wohnung offiziell vom Hauseigentümer zur Umsetzwohnung für diese Familie erklärt. Nun bröckelt seit drei Wochen auch in dieser Wohnung der Putz von der Decke, da in der darüberliegenden Wohnunge teilweise die Fußböden herausgerissen wurden. Seit zwei Wochen ist eins der drei Zimmer völlig unbewohnbar, weil ein Rohrbruch alles unter Wasser setzte. Das Wasser lief bis auf den Gehsteig runter. Sämtliche Einrichtungsgegenstände landeten auf dem Müll. Die drei Kinder schlafen mittlerweile gemeinsam in einem Zimmer.. Angesichts dieser Zustände, sollte man meinen, müßte sofort eine andere Wohnung gefunden werden. Doch der Haueigentümer, Herr Gawehn, ist ganz anderer Ansicht. Seiner Meinung nach könne man in dieser Wohnung wohnen, außerdem sei das schon eine Umsetzwohnung, und in drei bis vier Monaten stünde die sanierte Wohnung im vierten Stock wieder der Familie zur Verfügung. Die jedoch geht von einer einjährigen Bauzeit aus - nicht zu Unrecht, wenn man sich den Zustand der oberen Wohnungen ansieht. In ihrer Not wandte sich die Mutter an das Wohnungsaufsichtsamt und bat um eine Ortsbesichtigung. Diese fand dann auch in kürzester Zeit mit einem Mitarbeiter des Wohnungsaufsichtsamtes und einem Vertreter des Eigentümers statt. Und tatsächlich: der Eigentümer wurde verpflichtet, der Familie innerhalb einer Woche geeigneten Ersatzwohnraum anzubieten. Herr Gawehn hat nun zwei Alternativ-Wohnungen gefunden und übernimmt die Mietdifferenz bis zum Rückzug in die ursprüngliche Wohnung. Allerdings weigert er sich, die gesamten Umzugskosten zu übernehmen. Außerdem entstehen der Mieterin vor allem für ihre Kinder nun Fahrkosten zur Schule und Kita. Das Wohnungsamt kann hier nicht weiterhelfen, sondern dieses Problem muß auf dem zivilrechtlichen Weg eingeklagt werden. Aber die Mieterin hat sowieso keine Illusionen über die Verhandlungsmaxime ihres Hauseigentümers. "Ohne Druck läuft hier gar" nichts!"
sas

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  Ausgabe 11 - 1999