Ausgabe 11 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Globaler Chatroom, derangiertes Häusermeer

Auch im Kursbuch wird über die "Metropole" schwadroniert

Ist Berlin jetzt, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer, verdammt noch mal, eine richtige Metropole oder etwa noch immer nicht? Sicheres Zeichen dafür, daß Berlin keine Metropole ist, ist das unausgesetzte Gerede von der Metropole. Ein Zitty-Schreiber entblödete sich neulich nicht einmal, die von ihm prognostizierte Verschärfung der sozialen Gegensätze zum Metropolenkriterium zu erheben. Wenn es in der deutschen Hauptstadt einmal echt abgefahrene Ghettos gibt, dann haben wir es geschafft. Wer von all' dem noch immer nicht genug hat, findet im Kursbuch 137 - Berlin. Metropole reichlich Lesestoff.

Auf dem Titelbild ist das Architekturmodell eines mit Hochhäusern zugeknallten Alexanderplatzes zu sehen, wie es ihn, wenn sich nicht doch noch Investoren für diesen städtebaulichen Unfug finden, in absehbarer Zeit kaum geben wird. Der Metropolendiskurs besteht aus Projektionen und Hirngespinsten.

Viel Kritik an den Entwicklungen der vergangenen Jahre findet man nicht im Kursbuch. Es überwiegt Euphorie und Schönreden des ganz offensichtlich Schiefgelaufenen. Schließlich gilt es für die in Berlin ansässigen Publizisten ja auch, sich ihrer eigenen Bedeutung am Nabel zumindest Deutschlands zu versichern. Einzig der kulturkonservative Wolf Jobst Siedler schlägt resignative Töne an, wenn er zutreffend von einer "Weltstadt ohne Weltstädter" spricht. Berlin hätte als Folge des Krieges seine Eliten eingebüßt, die verlorene kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung nicht einmal ansatzweise wiedererlangt: "Das derangierte Häusermeer Berlin, das aus den Katarakten des 20. Jahrhunderts aufgetaucht ist, verfügt über kaum eine der Qualitäten der wirklichen Metropolen Europas." Siedler vermißt zudem die "östlichen Provinzen", die Karl Schlögel im übrigen schon wieder heraufdämmern sieht: schließlich kann man im Interregio heute schon wieder bis an die russische Grenze fahren.

Peter Schneider erhofft sich vom Bonner Zuzug einen Zivilisationsschub und weniger Hundescheiße, während der unvermeidliche Dieter Hoffmann-Axthelm die architektonische Misere schönredet. Stadtteile und -zusammenhänge würden jetzt endlich wieder sichtbar. Was da genau gebaut wird, ist offenbar nicht so wichtig, Hauptsache, die Brachflächen verschwinden. Hoffmann-Axthelms Spott über westdeutsche Städte ist unberechtigt. Daß man es der Friedrichstadt ansehe, daß sie sich nicht in der alten BRD befinde, kann man wohl nur schwer als Vorzug auslegen. An was erinnert sie denn eigentlich? Vielleicht an Texas? Anders als in Berlin, wo die Sturheit der Planer im Weg stand, gab es in Duisburg oder in Lörrach in den letzten Jahren durchaus bemerkenswerte Architektur.

Nun ja, ich wohne also, wie ich von Klaus Hartung lerne, im "chatroom der globalen Welt" und muß doch, was mir schwerer zu wiegen scheint, die Schließung der Altberliner Bierstuben am Senefelderplatz beklagen. Natürlich wird im Kursbuch auf jeder zweiten Seite ein gewisser Karl Scheffler zitiert, der gesagt haben soll, Berlin sei ständig im Werden oder so ähnlich. Der Preis für die dümmste Formulierung im Metropolendiskurs aber geht an Stefan Welzk. Er spricht vom Potsdamer Platz als "Paradigma einer Welt als Wille und Vorstellung".
Florian Neuner

Berlin. Metropole, Kursbuch 137 (September 1999). Rowohlt Berlin, 18 DM

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